hörhilfe
: Herzensergießungen zweier lyrischer Biertrinker

Der Schatz des Gambriamos

Mal im Ernst, war das jetzt nötig? Drei schöne, an den rechten Stellen – nämlich bei den deutschen Brauern – für viel Furore und Missstimmung sorgende Lexika haben die Herren Roth und Rudolf voll geschrieben (eins zusammen, jeder eins für sich allein) und zu Recht viel lobende Worte dafür geerntet. Nun ist die CD zur Tour erschienen (Motto: „Getrennt trinken – gemeinsam lesen“), die „Deutschlands gefürchtetste Biertrinker“ (Bild) „auf der Suche nach dem Schatz des Gambriamos“ (Roth & Rudolf) durch solche Metropolen wie Frankfurt am Main, Hamburg, Dresden, Braunschweig und Miltenberg führte – wie oft soll das eigentlich noch so gehen? Nun, wie auch immer, wir wollen da nicht hintanstehen und eine CD loben, die zwar so überflüssig ist wie ein Blinddarm, aber viel mehr Spaß macht.

Die Subversivität der Bücher, ihr gegen das Bier-Establishment gerichteter, im besten Sinne aufklärerischer Impuls wird vor allem durch die charmante Bootleg-Qualität der Aufnahmen ohrenfällig ins andere Medium transportiert. Herrlich trashig mutet das an: Da treffen unterschiedliche Hallräume, Lautstärkeverhältnisse, Mikrofoneinstellungen und Aufnahmequalitäten hart aufeinander, weil man die 48 für überlieferungswürdig befundenen Outtakes der sechs mitgeschnittenen Lesungen zu einer bunten Collage montiert hat; da zischen die S-Laute schräg in den Schädel, und Mikros poppen um die Wette. Fehlt eigentlich nur ein markerschütterndes Feedback, dann würde ich sagen: That's Rock 'n' Roll! Beziehungsweise, um beim Thema zu bleiben: Die letzte Viererreihe wird immer extrem hart.

Die Texte sind so gut wie immer und bieten vor allem „aktiven Verbraucherschutz“ in Form einer engagierten Markenkritik. Dass harsche Polemik hier überwiegen muss, dafür können die Autoren nichts, sie topografieren schließlich nur in aller Aufrichtigkeit die europäische Bierlandschaft: Burghof – „Ein Geschmack findet nicht statt“; Paderborner – „Tot wie Gottes Sohn. Tot wie Gott selbst“; Beck’s – „Schmeckt immer so, wie man sich gerade fühlt, also meistens schlecht“; Thier – „Die Zunge geht auf Stelzen“; Schäffbräu – „Von diesem Boden darf nie wieder ein Bier ausgehen“ usw. Aber dann und wann trifft doch ein Gebräu den Geschmacksnerv der beiden Akkordverkoster – und schon beweisen sie, dass sie im Grunde eine schöne Seele besitzen, die doch eigentlich immer nur loben will, und auch zu wahrhaft lyrischen Herzensergießungen fähig sind. „Es ist wie ein Ausflug in eine andere Welt“, geht da etwa die Rede vom Bamberger Klosterbräu Pils, „eine Bierwelt, die von Supermärkten und Premium noch nie etwas gehört haben will und wohl auch niemals wird hören wollen. Es ist wie ein Traum mit dem Bierglas in der Hand, in eine kuschlige Decke eingemummelt, die Schutz bietet vor den siedenden Unbilden des Draußen, ein feuchter Biertraum, der endlos währen sollte, bei dem einem einer abpfeift und zwar aus allen Registern.“ Solche und andere Preziosen treffen auf ein Publikum, dem das Zuhören offensichtlich sehr viel Spaß macht – so viel, dass dem einen oder anderen dabei die Contenance gänzlich abhanden kommt. Im Braunschweiger Antiquariat Buch & Kunst beispielsweise scheint das Mikrofon nicht dem lesenden Rudolf, sondern einem der Gäste ans Revers geheftet worden zu sein, so verstörend laut meckert dessen viehisches Gelächter von der Platte.

Am schönsten aber ist das umfangreiche Booklet mit einem Tourtagebuch, ein eigener kleiner Schelmenroman nämlich, ein witziges Roadmovie in Worten. Das könnte man eigentlich auch wieder gut vorlesen. Um anschließend daraus, sagen wir, eine DVD zu machen? FRANK SCHÄFER

Jürgen Roth & Michael Rudolf: „Bier! Die CD“ (Strunz! enterprises)