In der Zeitblase

Langsam währt am längsten: Steely Dan stellten in Hamburg ihre Song-Schmuckstücke aus drei Dekaden aus, ließen aber ihre Hits im Schrank

„Wer am langsamsten läuft, hört sie schon am längsten“, meint einer in dem kleinen Pulk, der am Montagabend von der U-Bahn Richtung Auditorium eilte. Merkwürdige Theorie. Doch wer hört Steely Dan überhaupt noch? Immer noch? Oder gar erst jetzt?

Die bestuhlte Alsterdorfer Sporthalle, akustisch immer ein Grenzfall, ist jedenfalls nur unten im Parkett gut gefüllt, während auf den Rängen seitwärts und hinten doch weite Lücken klaffen. Was mögen Donald Fagen und Walter Becker, beim Soundcheck am Nachmittag, beim Anblick eines solch hässlichen Zweckbaus empfinden? Augen zu und durch?

Dass sich das US-Duo in der ersten Hälfte der 90er-Jahre ausgerechnet mit einer Tournee und einem Konzertmitschnitt zurückmeldete, gehört ja ohnehin zu den großen Ironien der jüngeren Popgeschichte. Kam ihre große Zeit in den 70ern doch gerade dann, als sie der Bühne entsagten, weil Live-Shows als Promotionvehikel ausgedient hatten. In den Linernotes der 95er-CD „Alive In America“ trieft der Sarkasmus, wenn sich Becker/Fagen an die bodenlosen Gym-Gigs vor voll gedröhnten Teenagern erinnern, die immerfort „boogie, boogie, we want to boogie!“ schrien. Warum dann, zwanzig Jahre später, doch wieder auf die Bühne, wo sie obendrein noch Gefahr liefen, den in langer, mühseliger Studiokleinarbeit genährten Mythos der Über-Popband gegen die Wand zu fahren? Ganz einfach, antworteten Becker/Fagen zwei Dan-übliche Zynismen später: Sie wollten schon immer mal hören, wie „Babylon Sisters“ live klänge.

Und es klingt – trotz mäßiger Akustik – ziemlich gut, eins der Schmuckstücke vom 1980er Schwanengesangalbum „Gaucho“, nicht zuletzt dank der drei Sängerinnen am rechten Bühnenrand, die nicht nur hier mehr sind als bloß aparte, optische Staffage. Daneben agieren hinter und neben Becker/Fagen noch mal acht Topmusiker, die immer wieder die Illusion der Improvisation nähren dürfen, obschon die zwei durch eine 20-minütige Pause unterbrochenen Sets bis ins Detail ausarrangiert sein dürften. Lässig, doch konzentriert ziehen Steely Dan Bilanz in eigener 70er-Sache, vom ganz frühen „Dirty Work“ über den „Boston Rag“ und die Schwindel erregenden Unisono-Passagen von „Bothisattva“, die auch live wie eine Eins stehen, bis zu „Home At Last“ und einem beschwingten „Hey Nineteen“.

Steely Dan leisten sich den Luxus, die paar echten Gassenhauer („Do It Again“, „Rikki Don’t Lose That Number“, sogar „Reelin’ In The Years“) im Schrank zu lassen, mogeln dafür auch wenige Songs vom aktuellen Album „Two Against Nature“ ins gut zweistündige Repertoire. De La Soul haben Steely Dan 1989 gesampelt und wurden nicht zuletzt dafür gleich als Erneuerer des HipHop gefeiert. Es blieb eine Einbahnstraße, denn Becker/Fagen haben sich immer nur aus sich selbst heraus erneuert. Kategorien wie zeitgemäß oder zeitlos werden hier obsolet. Ja, fast scheint es, als existierten diese Songs schon immer in einem Vakuum, in einer Zeitblase. Und doch sind ihre besten Songs auch immer musikalische Sittenbilder einer Ära, einer Generation geblieben, der Sixties-Nachruf aufs „Kid Charlemagne“ oder die dunkle L.A.-Dekadenz der späten 70er in „Babylon Sisters“. „Do you remember the 20th century?“, fragt Fagen irgendwann in die Menge, die in der einzigen Zugabe (mit dem alten Reißer) längst auf den Beinen ist. An Steely-Dan-Songs wird man sich auch im 21. noch erinnern – egal, wie langsam man da unterwegs ist. JÖRG FEYER