Mein eigener Supercomputer

Verteiltes Rechnen: Die neuen Gigahertz-Prozessoren müssen nicht immer nur Programme von Microsoft ausführen.Im Netz vereint, schlagen sie jeden Großrechner und können ihrem Besitzer nebenbei auch noch Geld einbringen

von KONRAD LISCHKA

Ein paar Millionen Computer – ungefähr geschätzt – hängen ständig am Internet. Meistens tun sie nichts. Das muss nicht so sein. Das Projekt SETI@home zum Beispiel nutzt ihre brachliegenden Fähigkeiten, um außerirdische Intelligenzen aufzuspüren. Für die vage Hoffnung, einst im Schaukelstuhl den Enkeln davon erzählen zu können, schenken Millionen Menschen diesem Projekt übers Internet ein wenig Rechenzeit ihres PC.

Ein rein idealistischer Anfang einer großartigen Idee. Bei der nächsten – kommerziellen – Generation des verteilten Rechnens werden die Erfolgserlebnisse konkreter sein: Toy Story 3, ein Grippemittel und als Entlohnung die Erstattung der Onlinegebühren oder Einkaufsgutscheine. Die US-Firma Parabon (www.parabon.com) verspricht, ab Herbst ihre momentan etwa 6.000 freiwilligen Helfer für die geopferte Rechenzeit mit kleinen Geldbeträgen zu entlohnen. Beim Anfang des Monats gestarteten Erstversuch ist noch ein gutes Gewissen die Entlohnung. Mit dem US National Cancer Institute (www.nci.nih.gov) will man die Wirkung verschiedener Medikamente auf Krebszellen simulieren. Was sich bei der Computersimulation als erfolgreich erweist, wird dann an echten Patienten versucht.

Die nötige Rechenkapazität stellen, wie schon bei SETI@ home, die Heimcomputer der freiwilligen Helfer. Das von der Parabon-Homepage herunterzuladende Java-Programm Pioneer beginnt – wie ein Bildschirmschoner – zu arbeiten, wenn der Rechner nicht benutzt wird. Holt man sich einen Kaffee, wird ein kleiner Simulationsteil berechnet. Vielleicht führt gerade er zu dem neuen Krebsmittel. Die Ergebnisse sendet Pioneer übers Netz an Parabol.

Geschäftsführer Steven Armentrout ist sich recht sicher, das Geschäft der Zukunft aufzubauen: „IBMs ASCI White, der schnellste Rechner der Welt, hat die Kapazität von etwa 30.000 Desktop-Computern. Allein in den USA sind 100 Millionen Computer am Netz.“ In der Tat haben es in den ersten 15 Monaten des SETI@home-Projekts etwa 2 Millionen Rechner auf 345.000 Rechenjahre gebracht. Abgesehen von diesem Potenzial wird kaum jemand Unsummen für Rechenkraft ausgeben, die er nicht konstant, sondern nur für ein zeitlich begrenztes Projekt braucht. Disney konnte sich das bei Toy Story leisten, viele Forschungsprojekte haben weniger Geld. „Die Rechenkraft ist da draußen“, glaubt Armentrout. Man muss sie nur mieten.

Dass verteiltes Rechnen funktioniert, haben neben SETI@ home bereits einige andere nichtkommerzielle Projekte bewiesen. Distributed.net, ein loser Zusammenschluss von Mathematikern und Programmierern, hat schon 1997 die von RSA Security aufs Knacken ihres Verschlüsselungscodes ausgesetzten 10.000 Dollar Preisgeld gewonnen. Die stupide Nummernfresserei übernahmen einige tausend Rechner im Internet. Heute vergleicht das Computermagazin Wired die Rechenkraft von Distributed.net mit der von 180.000 rund um die Uhr laufenden Pentium-II-266-MHz-Maschinen (www.wired.com/wired/archive/8.08/comcomp.html). Auch Myles Allan vom britischen Rutherford Appleton Laboratory (www.climate-dynamics.rl.ac.uk) glaubte bei einer von ihm geplanten Klimasimulation auf die Kraft des verteilten Rechnens. Auf seine Anfrage (www.climate-dynamics.rl.ac.uk/~allen/NERCnews.html) im vergangenen Herbst erhielt er binnen zwei Wochen 15.000 Antworten. Ähnliche Unterstützung erhofft sich openCOLA (www.opencola.com), ein Open-Source-Softwareprojekt zum Finden und Indizieren und von Audio- und Videodateien im Internet.

Zwei und zwei ist fünf

Die Begeisterung für verteiltes Rechnen erfasst wohl Adam Bebergs Manifest (cosm.mithral.com/ch-00.html) am besten. Der Gründer von distributed.net arbeitet derzeit an Cosm, einer „Reihe von Protokollen, die es Rechnern ermöglichen, an gemeinsamen Projekten zu arbeiten. Das mag eine mathematische Herausforderung oder das Rendering einer Animation sein, kurz gesagt, jedes große Projekt, das in Teile zerlegt werden kann“. Sein Aufruf: „Zwei und zwei ist nicht mehr vier, es ist fünf. So viele Dinge müssen getan werden, genug, um jeden Computer auf ewig zu beschäftigen. Irgendwo hat jemand Arbeit zu erledigen, und du kannst helfen.“

An der Kommerzialisierung dieses Potenzials versuchen sich neben Parabon auch andere Start-Ups. Popular Power (www.popularpower.com) zum Beispiel will so etwas wie eine Rechenkraftbörse werden. Je mehr Rechenkraft man zur Verfügung stellt, desto lukrativer sollen die Aufträge werden. Bezahlen will Popular Power vor allem in Form von Preisnachlässen auf Internetgebühren und Gutscheinen für Onlinegeschäfte. Noch läuft eine nichtkommerzielle Testphase, bei der die Wirkung neuer Impfstoffe auf neue Grippeviren simuliert wird. Geschäftsführer Mark Hedlund – er hat die Internetabteilung bei Lucasfilm aufgebaut – sieht Kunden vor allem im Film-, Animations-, Biotechnologie- und Chemiebereich. Und natürlich bei Webindizes. „Ich bin überzeugt, dass ein Markt da ist“, erzählte er Wired.

Ein etwas anders Geschäftsmodell verfolgt der Konkurrent ProcessTree (www.processtree.com). Die Rechenzeit, die man zur Verfügung stellt, wird mit Einkaufsgutscheinen, Preisrabatten beim Internetprovider und auch Bargeld entlohnt. Das Besondere an dem Modell ist, dass man umso mehr verdient, je mehr Leute man anwirbt. Zum eigenen Lohn kommt dann ein Teil des Umsatzes der neu Angeworbenen hinzu. Von über 110.100 verfügbaren Computern spricht ProcessTree momentan. „Jeden Tag kommen 300 neue Leute und 500 Computer dazu“, erzählt Firmengründer Albea.

Es gibt freilich auch Skeptiker. Bob Mecalfe zum Beispiel. Der Gründer von 3Com nennt verteiltes Rechnen zwar seine „Lieblingsidee“, glaubt aber nicht an die Kommerzialisierbarkeit: „Die Transportkosten für Daten, Programme und Ergebnisse übertreffen bei den meisten solcher Unternehmen die Vorteile. Leute mit wirklich ernsten Aufgaben werden nicht Ergebnissen von unzuverlässigen Maschinen, die bei absolut Fremden stehen, vertrauen. Außerdem sinkt der Preis für Rechenkraft beständig.“

Mark Hedlund von Popular Power hingegen verweist auf den Erfolg von SETI@home: „Geschwindigkeit und Verfügbarkeit des Netzes sind endlich so weit, dass nichttriviale Arbeit zu machen ist.“

Vielleicht wird es funktionieren: die mehr oder weniger wichtigen Fragen der Menschheit beantworten, die nächste Toy Story produzieren und dafür Amazon-Gutscheine bekommen – während man Kaffee holt.

kl@konrad-lischka.de