„Relaxen und drei Stunden Saxofon spielen“

Für Sonny Rollins war Jazz immer mehr als bloß Backgroundmusik für eine Cocktailparty. Heute wird der Tenorsaxofonist 70 Jahre alt. Ein Gespräch über künstlerische Selbstverwirklichung, den alltäglichen Rassismus gegenüber afroamerikanischen Musikern und den Sound zur Geschichte der Sklaverei

Interview CHRISTIAN BROECKING

taz: Was bedeutet Ihnen Erfolg?

Sonny Rollins: Es ist für mich völlig ohne Bedeutung, ob ich erfolgreich bin oder nicht.

Sie verlangen bis zu 50.000 Dollar für ein Konzert – das rechnet sich für viele Veranstalter nur mit Sponsoren. Warum sind Sie so teuer?

Ich bin ein bescheidener, unkäuflicher Mensch. Ich bin weder Millionär, noch versuche ich, einer zu werden. Der Preis mag sehr hoch sein, aber dafür kann man mich doch nicht verantwortlich machen. Für diesen ökonomischen Aspekt dürften Gerhard Schröder oder Bill Clinton die besseren Ansprechpartner sein: Sie sind es, die die Preise hoch oder niedrig halten.

Sie bestimmen selbst über Ihren Output?

Die Leute kommen andauernd mit irgendwelchen Angeboten oder Engagements an, die unter meiner Würde sind und die ich dann ablehne. Daher sind viele der Meinung, ich sei zu smart.

Ich lebe ein sehr bescheidenes Leben und bin nicht darauf aus, das große Geld zu machen, deswegen muss ich den Clubbesitzern, den Labelbossen und den Medien nicht hinterherrennen. Meinetwegen können sie zur Hölle fahren! Dafür kann ich aber tun, was ich will.

Was liegt denn unter der Würde von Sonny Rollins?

Wenn mir jemand einen Vertrag andrehen will, in dem festgelegt ist, dass ich mit Musikern spielen soll, die meinen Erwartungen nicht standhalten können, dann sage ich einfach Nein. Ich bin mit Leuten wie Miles Davis, John Coltrane und Thelonious Monk groß geworden. Ich sehe nicht ein, weshalb ich mich für ein Festival buchen lassen sollte, bei dem Musiker wie Michael Brecker als große Stars angekündigt werden, Joe Henderson und ich aber nur die zweite Reihe stellen. Das hat rein politische Gründe.

Sie meinen Rassismus?

Rassismus ist überall. Rassismus ist ein Problem gesellschaftlicher Natur. Im Musikbusiness wird lediglich die Gesellschaft reflektiert.

Die gesellschaftliche Integration der afroamerikanischen Community ist in den letzten Jahren praktisch zu einem konservativen Wert geworden. Entweder sieht man die Sache als erledigt an, oder, wie die „neuen“ Segregationisten, als gescheitert.

Nur weil eine Idee vielleicht noch nicht so weit ist, akzeptiert zu werden, heißt das nicht, dass sie nicht gut ist. Das ist das gleiche Phänomen wie bei der Demokratie. Die Idee damals in der Community war gut, aber es bestanden keine guten Aussichten auf Erfolg, denn den Leuten aus den Communities wurde der Zugang zu der „besseren Welt“ verwährt. Die Ghettos wurden zerstört, und die meisten blieben ohne irgendetwas zurück.

Ihre letzte CD „Global Warming“ knüpft an die Taktik des sozialen Kommentars an, den Sie 1958 mit Ihrer „Freedom Suite“ in den Jazz einführten.

Jazz steht für mich in der Tradition der Protestmusik. „Global Warming“ spiegelt meinen Bezug zur bevorstehenden Umweltkatastrophe wider, der die Welt entgegenblickt. Diese CD war wie die „Freedom Suite“ vor vierzig Jahren mein Beitrag dazu, dass Jazz zu mehr taugt, als die Backgroundmusik für eine Cocktailparty zu sein.

Für meine neue CD „This Is What I Do“, die wir gerade aufgenommen haben und die Ende dieses Monats erscheinen soll, habe ich einen Titel namens „Salvador“ komponiert. Salvador ist die Hauptstadt Bahias, jener Region Brasiliens, wo viele Sklaven einst lebten und die afrikanische Tradition bis heute bewahrt wurde. In den USA ist aus der kulturellen Erfahrung der ehemaligen Sklaven der Jazz entstanden, in Bahia kann man heute noch spüren, was dem vorausging.

Die Rhythmen?

Die Rhythmen spielen eine Hauptrolle in diesem Stück, wie in unserer Musik überhaupt.

Was würden Sie als die Hauptzutaten des Jazz bezeichnen?

Das wichtigste Element im Jazz ist die spontane Kreation von Sounds. Auch bei geschriebener Musik gilt: Setz dich an dein Instrument und spiel es. Die „kreative Improvisation“ ist es, auf die es ankommt, und das wird vermutlich auch so bleiben.

Auf Ihrer demnächst erscheinenden CD reinterpretieren Sie auch mehrere Standards aus den Dreißigerjahren. Was bedeuten Ihnen diese Stücke?

Als kleiner Junge bin ich mindestens einmal in der Woche ins Kino gegangen. Es gab ja noch kein TV damals. Und einige Melodien der Songs aus den alten Filmen haben mich mein Leben lang verfolgt, deshalb arbeite ich sie jetzt ab. Nicht um sie endgültig loszuwerden, sondern um sie zu bewahren. Sie haben lyrische Qualitäten, die man in den heutigen Kompositionen nicht mehr findet.

Wie wichtig ist die visuelle Bühnenpräsenz für Sie?

Ich habe immer darauf geachtet, dass meine Band das Publikum respektiert – das heißt, nicht in zerrissenen T-Shirts oder abgewetzten Schuhen aufzutreten. Auch ein solcher Auftritt könnte ein Statement sein, aber das ist nicht mein Stil. Ich arbeite bis heute daran, einen Sound und ein Konzept zu finden, um alle Momente des Protestes, die man vielleicht auch visuell oder durch Sprache artikulieren könnte, allein durch die Musik auszudrücken. Würde das gelingen, wäre die Wirkung wohl subtiler und nachhaltiger.

Glauben Sie, dass Musik die Gesellschaft verändern kann?

Sie hat auf jeden Fall mein Leben verändert. Und das gilt wahrscheinlich auch für einige andere. Ich weiß nicht, was ich wirklich von Platten wie „Global Warming“ und „Freedom Suite“ erwarte, vielleicht ist es einfach nur meine Art, mich auszudrücken. Ich nutzte die Chance, die mir als Künstler gegeben ist: mich zu äußern und vielleicht sogar Gehör zu finden. Manch einer denkt vielleicht: Warum halten die sich nicht aus sozialen Fragen raus und befassen sich stattdessen lieber ausschließlich mit der Musik? So etwas höre ich andauernd – die Leute wollen nicht, dass man seinen Horizont dahingehend erweitert. Wir sollen nur schön unsere Instrumente spielen und das tun, was man von Musikern erwartet.

Welche Rolle spielen die Medien in diesem Kontext?

Es ist heutzutage sehr schwierig, dass Botschaften die Medien erreichen. Die Medien werden von den gleichen Leuten dominiert, die verantwortlich für die Probleme in unserer Welt sind. Wir bekommen also nichts aus den Medien heraus. Demnach liegt es an jedem selbst, Verantwortung für sich zu übernehmen und sich um seine Informationen zu kümmern.

Was werden Sie an Ihrem Geburtstag machen?

Ich werde das tun, was ich jeden Tag mache: relaxen, Bodytraining und drei Stunden Saxofon spielen. Ich bemühe mich darum, jeden Tag meines Lebens so bewusst, verantwortungsvoll und glücklich zu leben wie irgend möglich. Jeder Tag sollte ein besonderer Tag sein.