Mit den Rädern rollt der Rubel

Inlineskater und Rollerfahrer haben sich zu den altbekannten Radlern gesellt. Das Geschäft mit kleinen Rädern boomt, doch das neue Nebeneinander auf den Straßen sorgt bislang noch für einige Verwirrung und Missverständnisse

von HOLGER KLEMM

Heinrich Schmidt läuft den Marathon auf Inlineskatern. Er ist 70. Für den Berlin-Marathon trieb es ihn zum ersten Mal in die Hauptstadt, auf Rollen steht er seit 65 Jahren. „Angefangen hat das Ganze in Kassel, wo wir als Kinder noch auf Eisenrollen umherrutschten.“

Jaja, jung ist, wer flott durchs Leben rollt. Und wer nicht mehr ganz jung ist, wird es wieder. Zwei Komponenten spielen dabei eine Rolle: der Sport an sich und die Markenartikel. Schrille Designs und Zubehör sind ein Jungbrunnen. Und die Palette an Zubehör wächst ständig. Mitte der Neunziger traten hauptsächlich Helm und diverse Gelenkschoner in Erscheinung – Thema Sicherheit.

Die nächste Generation an Accessoires beschritt die Ebene der Funktionalität. Da ging es um Rucksäcke, in denen man schlammige Inliner verstauen kann, ohne sich den Timer oder das Handy zu versauen. Jetzt ist die dritte Generation dran. Jetzt kommt alles auf den Markt, was es für Autos oder Fahrräder schon serienmäßig gibt. Tachometer zum Beispiel. Ein wahres Kunststück, heben doch die Räder beim Fahren immer wieder von der Straße ab, was eine exakte Messung eigentlich unmöglich macht. Oder Klingeln. Die heißen dann Skaterglocke und gehen als Armband durch. Wann kommt der Rückspiegel für Kickroller auf den Markt? Wann das fest installierte Ersatzrad am Heck des Skateboards?

Menschen kommen in Schwung. Und mit ihnen die Wirtschaft. Im vergangenen Jahr lag der Umsatz für Sport und Campingartikel bei 7,3 Milliarden Mark. Das sind knapp 6 Prozent Jahreszuwachs, pro Nase 90 Mark.

Noch rollt nicht alles glatt. Nicht nur, dass die Firmen mit der Produktion von Tretrollern kaum Schritt halten können mit der Nachfrage. Auch rechtliche Schwierigkeiten gibt es im Grenzbereich von Straße und Fußweg. Der Landesvorsitzende des ADFC Berlin, Michael Föge, kann und will nicht die Anwaltschaft für Skater und Rollerfahrer übernehmen. Das schreibt die Satzung des Vereins fest. Zusammenarbeiten ja. Aber keine Vermischung.

Trotz ähnlicher Gesamtinteressen steckt der Teufel in den sich unterscheidenden Details. Zum einen das Bremsverhalten der Skater. Noch gibt es keine Initiative der Bundesregierung, das Trägheitsgesetz in Deutschland abzuschaffen. Und solange das gilt, haben Skater – ohne Trommelbremse oder Rücktritt – einen schweren Stand.

Ein weiterer Unterschied ist der Platzbedarf. Radfahrer kommen auch mal mit 50 Zentimeter breiten Fahrwegen aus, wenn es sein muss. Und Skater? Unter dem doppelten Platz läuft da nichts. Selbst wenn Radwege auf die vom ADFC geforderten 1,60 Meter ausgebaut werden, so ist dieser als Standard für Velos berechnet – nicht jedoch für Inlineskater.

Die Busspuren sind in Berlin noch nicht einmal generell für Fahrräder freigegeben – trotz jahrzehntelanger Lobbyarbeit. Skater und Tretroller, Tretrollerer oder wie auch immer man die Fahrer von Tretrollern nennt – es gibt noch nicht mal einen richtigen Begriff dafür – spielen Trittbrettfahrer. Ganz schnell soll es gehen mit neuen Regelungen zu Straßen- und Fuß- und Radwegbenutzung. Alles keine Lösung, meint Föge. Ein möglicher Versuch seien Tempo-20-Zonen in Wohngebieten. Ein Zwitter aus Spielstraße und Tempo 30. Da wäre Platz für alle und die Unfallgefahr begrenzt.

Sobald ein Auto am Unfall beteiligt ist, sind die Verletzungen wesentlich stärker. Volker Heitkamp vom Berliner Unfallkrankenhaus kann kein besonderes Unfallaufkommen der Kleinstradnutzer bestätigen. Aber die Statistik ist auch sehr grob. Sie unterscheidet nur zwischen Sport- und Freizeitunfällen einerseits und Arbeits- und Wegeunfällen andererseits. Als besonders dramatisch beschreibt Heitkamp Kopfverletzungen. Das kann nur heißen: Helmpflicht für Rollerfahrer! Gurtpflicht für Skateboarder! Airbags für Inliner!

Noch ist nichts davon ruchbar geworden, dass Verkehrsminister Klimmt die Sterntaler der UMTS-Versteigerung schwerpunktmäßig für den Auf- und Ausbau alternative Verkehrswege verwenden will. Er geht da langfristiger ran. Die Bahn musste auch erst geschlagene zwei Jahre nachweisen, dass sie weder Modegag noch Trendsport ist, ehe der Herr aller Räder ein paar Milliönchen lockermachte.