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Eingefleischte Profis gesucht

180.000 Arbeitsplätze bleiben unbesetzt, weil es vor allem in der Multimedia- und Werbebranche keine Fachkräfte gibt. Das Bildungsprofil der Deutschen braucht ein Update, wenn die Gesellschaft nicht auseinander fallen soll, warnen Experten

von CHRISTOPH RASCH

„Für unsere Mitarbeiter tun wir einfach alles“, wirbt das Plakat, und verspricht potenziellen Interessenten: „Wenn mal was schief geht, feuern wir den Kunden und nicht Dich!“

Die 50 Großplakate, die derzeit direkt gegenüber den Häusern von Werbe- und Medienunternehmen Aufstellung finden, stammen von der Berliner Agentur „NewSign“. „Abgeworben haben wir damit noch niemanden“, sagt ihr Geschäftsführer Christoph Schacht, aber die ungewöhnliche Mitarbeiterakquise per Plakat zeigte Wirkung: Bis zu fünfzehn Bewerbungen am Tag gehen derzeit bei der Agentur in Berlin-Mitte ein: „Wir locken nicht mit Geld, sondern mit angenehmer Arbeitsatmosphäre.“

Der Zulieferer von Großkunden wie T-Online fand sogar die gesuchten Programmierer, Grafiker sowie Projektmanager und stellte sie ein.

Doch nicht nur für die Trendagentur basiert die geschickte Kampagne – die auch Selbstmarketing ist – auf einem ernsten Hintergrund: Im Arbeitsmarkt der Zukunft sei nicht Arbeitslosigkeit das große Thema, sondern der Mangel an qualifizierten Kräften. „Auch dem Markt gibt es viele, die qualifiziert sind, aber viel zu wenig eingefleischte Profis“, sagt Schacht. 180.000 Arbeitsplätze in der Wirtschaft, schätzt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, bleiben derzeit unbesetzt; Fachleute sehen diese Zahl in den nächsten fünf Jahren auf bis zu 300.000 klettern. Am deutlichsten zeigt sich der Trend in der Multimedia- und Werbebranche.

Wirtschaft und Politik finden daher zeitgemäße Worte: Das Bildungsprofil der Deutschen braucht ein Update. Die Unternehmensinitiative D 21 warnte in ihrer Ende August veröffentlichten Studie davor, dass in drei Jahren noch immer 20 Millionen Menschen ohne Internetzugang seien und so mit einem „deutlichen Qualifikationsnachteil“ klarkommen müssten. „Die Alternative heißt: Web oder weg“, ließ sich der D 21-Vorsitzende und IBM-Deutschland-Chef Erwin Staudt zum Arbeitsmarkt der Zukunft zitieren.

„Das Klima in der Branche ist bereits jetzt ziemlich aggressiv geworden“, urteilt Lutz Goertz vom Deutschen Multimedia-Verband (dmmv). Firmen versuchen verstärkt, ihrer Konkurrenz Mitarbeiter abzuwerben, Anrufe von „Headhuntern“ sind an der Tagesordnung. „Gleichzeitig fehlen noch immer genügend firmeninterne Trainer, die Hochschulabsolventen auf die Anforderungen des Berufs vorbereiten“, sagt der Ausbildungsfachmann. Immerhin habe sich die Zahl der Azubis in den großen Multimediafirmen gegenüber dem Vorjahr auf 128 verdoppelt. Bei 100.000 derzeitigen Multimediajobs dennoch eine geringe Zahl. „Bewerber, die Umschulungen über das Arbeitsamt absolvierten, haben dagegen schlechtere Karten. Die Anforderungen in den Unternehmen steigen derart, dass man sich das Wissen kaum noch in einem Jahr aneignen kann“, so Goertz. Beide Bildungswege produzierten jedoch keine Experten, sondern füllten die „Indianerebene“ auf. „Hier wird eine große Anzahl Mitarbeiter nur für einfache Tätigkeiten geschult“, so Lutz Goertz.

„Experten fallen eben nicht vom Himmel“, stellte auch der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) lakonisch fest. Seit drei Jahren wird nach standardisierten Profilen in den Berufen der Informationstechnologie (IT) ausgebildet: IT-Systemelektroniker, Fachinformatiker, IT-Informatikkaufleute. Ende 1999 waren es 25.600 Azubis.

Nun fordert die D 21-Initiative also bessere Voraussetzungen für den Einstieg ins Internet, will günstigere Tarife und staatlich geförderte Maßnahmen wie den Anschluss der 40.000 deutschen Schulen ans Netz. Auch Rita Süssmuth, Präsidentin des Deutschen Volkshochschulverbandes, ließ sich vor die Bertelsmann-Kampagne „Internet für Einsteiger“ spannen und verteilt CD-ROMs „gegen das Auseinanderfallen der Gesellschaft in Internetnutzer und -nichtnutzer“.

Auch jenseits der Interneterfahrung müssen Bewerber in Zukunft mehr in ihre Bildung investieren. „Computerkenntnisse alleine nützen auch nichts, wenn der Betreffende Schwächen in der Allgemeinbildung oder Rechtschreibung hat“, sagt Achim Dercks, Arbeitsmarktexperte beim DIHT. Und nach einer Studie der Bundesanstalt für Arbeit steigt der Bedarf an besser ausgebildeten Hochschulabsolventen von 14 Prozent im Jahr 1995 auf 17 Prozent 2010. Der Anteil der Arbeitskräfte ohne Berufsausbildung verringert sich gleichzeitig von 17 auf 11 Prozent.

Christoph Schacht und seine Agentur haben sich dem härter werdenden Markt angepasst. Und das rät der Werbemann auch Berufseinsteigern: Schon im Studium solle man anfangen, markt- und kundenorientiert zu denken, meint er. „Was nützen mir Absolventen, die ich erst mal ein Jahr für die Praxis trainieren muss, weil sie es gewohnt waren, nur im Sandkasten zu arbeiten?“

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