„Die Behörden haben allergisch reagiert“

Goldener Löwe für Jafar Pahanis Film „Der Kreis“. Der Regisseur über die Frauen im Iran und die Möglichkeiten des politischen iranischen Films

taz: Ihr Film beginnt mit einer Geburt. Da das Kind ein Mädchen ist, reagiert die Familie zutiefst enttäuscht. Es sind solche alltäglichen Vorkommnisse, aus denen sich in „Der Kreis“ ein Bild der Situation der Frau im Iran zusammensetzt.

Jafar Pahani: Ich wollte kein politisches Pamphlet schaffen. Es geht mir um die Beschränkungen, denen die Frauen fortwährend im Alltag ausgesetzt sind. Zum Beispiel das Verbot, öffentlich zu rauchen oder als Frau unbegleitet mit dem Bus zu reisen. Dadurch entsteht eine beklemmende Atmosphäre, über die sich viel mehr mitteilt als durch dramatische Situationen

Ihr Film öffnet sich sehr langsam. So erfährt man erst relativ spät, dass alle Frauen, die in „Der Kreis“ durch Teheran irren, alle am gleichen Tag aus dem Gefängnis entlassen wurden.

Ich bin davon überzeugt, dass ein Filmemacher dem Publikum nicht alle Informationen liefern sollte. So spielt es zum Beispiel keine Rolle, aus welcher Gesellschaftsschicht die Frauen stammen oder weshalb sie im Gefängnis waren. Eine hat zwar ein blaues Auge, aber wie es entstanden ist, bleibt der Vorstellungskraft des Einzelnen überlassen. Wichtig ist mir allerdings, dass man begreift, dass die Frauen aus dem Gefängnis wiederum in ein größeres Gefängnis entlassen wurden: die iranische Gesellschaft. Und darin müssen sie sich erst wieder zurechtfinden.

Würden Sie Ihren Film als politischen „Reigen“ bezeichnen?

Warum nicht, er hat ja durchaus die Struktur des Schnitzler-Stückes. Und ich habe genau diese Form gewählt, weil ich keine einzelne Geschichte erzählen, sondern ein gesellschaftliches Panorama entwerfen wollte.

Wenn die Heldinnen Ihres Reigens wirklich offiziell aus dem Gefängnis entlassen wurden, weshalb reagieren sie dann so panisch auf jede Militärkontrolle, die sie in der Ferne wahrnehmen?

Es gibt ein iranisches Sprichwort: Wer einmal von einer Schlange gebissen wurde, hat immer Angst vor weißen und schwarzen Streifen. Die Frauen in „Der Kreis“ müssen im Gefängnis Dinge erlebt haben, die sie auf das Militär allergisch machen. Das betrifft allerdings nur die Institution Militär, also tatsächlich die Wahrnehmung von weitem. Sobald die Frauen einem Soldaten im Alltag bzw. in einem Geschäft begegnen, verliert sich diese Angst ein wenig. Das ist ein entscheidender Punkt, den ich auch durch die Kameraperspektive betonen wollte.

Sind die Darstellerinnen professionelle Schauspielerinnen?

Nur zwei davon. Die Frau, die verzweifelt einen Arzt für eine Abtreibung sucht, und die Mutter, die ihr Kind auf der Straße aussetzt, weil sie es nicht ernähren kann, werden von professionellen Schauspielerinnen gespielt. Alle anderen sind Laien. Und die Straßenszenen in Teheran haben wir mit der Handkamera gedreht, um Statisten zu sparen.

Am Ende Ihres Films tritt eine Frau auf, die offensichtlich als Prostituierte arbeitet. Ist dieses Thema im Iran nicht absolut tabu?

Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Verhandlungen mit den Autoritäten es gekostet hat, um diese Szene zu drehen. Die Behörden haben natürlich völlig allergisch darauf reagiert. Gleiches gilt auch für den Dialog über die Abtreibung. Aber irgendwie haben wir uns durchgesetzt.

Umso erstaunlicher, da das iranischen Kino der letzten Jahre Gesellschaftskritik eigentlich nur aus der Distanz der Metapher geübt hat . . .

Ich habe an diesem Film drei Jahre lang gearbeitet. Es gab immer wieder Schwierigkeiten, die unüberwindlich schienen, denn für das, was ich in „Der Kreis“ erzählen will, gibt es einfach keine Metapher.

Kennen Sie Statistiken über die Anzahl iranischer Frauen, die pro Jahr verhaftet werden?

Ich habe versucht, Zahlen und die häufigsten Verhaftungsgründe herauszufinden. Aber es gibt leider keinerlei offizielle Informationen.

Ihr Film beleuchtet auch eine merkwürdige Schizophrenie. Während den Frauen in der Öffentlichkeit alles Mögliche untersagt wird, werden sie immer wieder von Männern angemacht oder bekommen Bemerkungen hinterhergerufen . . .

Meiner Meinung ist das ein ehernes Gesetz restriktiver Gesellschaften und damit auch der iranischen: Was man an der einen Stelle verbietet, kommt an der anderen umso stärker wieder hervor.

Ihr Film endet sehr düster mit einer Gefängnisszene. Aber kurz vor dem Schluss gibt es ein Bild, aus dem man eine winzige Hoffnung herauslesen kann: Die Prostituierte sitzt im Polizeiwagen und raucht, obwohl es ihr von den Männern eigentlich untersagt wurde. Sie ist auch die einzige Frau, die nicht ständig in Bewegung ist.

Diese Frau ruht in sich, weil sie am untersten Ende der sozialen Skala steht. Die anderen Frauen in meinem Film kämpfen noch. Im Grunde kämpfen sie darum, nicht in die Situation der Prostituierten abzudriften. Da sie im Gefängnis waren, kann es allerdings sein, dass sie von ihren Familien oder Ehemännern verstoßen werden. Es wird sehr schwer für sie werden, während die Prostituierte schon so weit unten ist, dass sie vor der Polizei eine dicke Lippe riskieren kann. Dieser Gegensatz teilt sich auch filmisch mit. Während die anderen Frauen nervös sind, sich bewegen, kämpfen und die Kamera mit sich ziehen, sitzt die Prostituierte ruhig da. Nur der fahrende Wagen bewegt sich. Sie selbst hat nichts mehr zu verlieren, und das ist immer die beste Voraussetzung, um zu revoltieren. Und sei es nur mit einer Zigarette.

Hat sich die Situation der Frauen im Iran in den letzten Jahren verändert?

Der Kreis aus Verboten, Beschränkungen, sichtbaren und unsichtbaren Grenzen existiert wie eh und je. Aber lassen Sie es so mich so formulieren. Die Regierung Chatami hat diesen Kreis ein wenig weiter gemacht. Aber wirklich nur ein wenig.

INTERVIEW: KATJA NICODEMUS