FRANKREICHS REGIERUNG UND DAS ENDE DER STRASSENBLOCKADEN
: Beruhigungspillen mit Nachgeschmack

Frankreichs rot-rosa-grüne Regierung hat sich in der schwersten Krise ihrer Amtszeit nicht eben mit Ruhm bekleckert. Gegenüber dem verzweifelten Aufstand einer Gruppe von historischen Verlierern – kleinen und mittleren Patrons, die ahnen, dass sie im Kräftespiel von Konzentration und Globalisierung zerrieben werden – fiel ihr nichts Besseres ein, als Beruhigungspillen auszuteilen.

Das wird bei vielen einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen: Bei den Blockierern selbst, die mit den Steuergeschenken nur eine vorübergehende Erleichterung bekommen haben. Bei den Umweltpolitikern, deren Engagement gegen den Treibhauseffekt eine neue Niederlage erlitten hat. Bei der französischen Bevölkerung insgesamt, wo Millionen von Niedrigverdienern und Arbeitslosen die selektive Unterstützung für die Patrons als extreme Ungerechtigkeit empfinden. In den europäischen Nachbarländern, wo das Beispiel die Steuerpopulisten jeder Couleur zu eigenen Aufständen ermuntert. Und in Brüssel, wo die EU vergeblich versucht hat, eine europäische Antwort auf das Problem zu finden. Ihnen allen ist die rot-rosa-grüne Regierung Rechenschaft schuldig. Sie muss die politischen Antworten auf das geben, was in den letzten Tagen in Frankreich passiert ist und das sich unter veränderten kulturellen Vorzeichen jederzeit anderswo wiederholen könnte.

Sowohl das Mineralöl – seine Förderung, sein Vertrieb, seine Preisgestaltung und seine Besteuerung – als auch die Verkehrspolitik – ihre Schwerpunkte auf Straße oder Schiene und ihre Folgen für Gesundheit und Sicherheit der Bürger – sind ein internationales Problem. Der Rahmen für diese Politik ist Europa. Gemeinsame Appelle an die morgen in Wien tagende Opec freilich reichen nicht. Die Opec kann Fördermenge und Preise auch in Zukunft jederzeit wieder ändern. Ganz abgesehen davon, dass die weltweiten Mineralölvorräte bekanntlich irgendwann erschöpft sein werden.

Die EU muss nun formulieren, welchen Güterverkehr sie will: Einen, der mit den bekannten Folgen für das weltweite Klima, für die Verkehrsunsicherheit und für die Volksgesundheit einhergeht, auf den Straßen stattfindet und lediglich einer immer kleiner werdenden Zahl von immer größer werdenden Transportkonzernen nutzt, in denen jetzt schon unerträgliche Arbeitbedingungen herrschen. Oder einen, der auf die Schiene verlagert wird, der mit zwei- bis dreimal weniger Energie auskommt, der massenhaft Arbeitplätze schafft und langfristig für eine Klimaverbesserung sorgt. In den verbleibenden dreieinhalb Monaten der EU-Ratspräsidentschaft hat Frankreich Gelegenheit, diese europäische Weichenstellung entscheidend zu beeinflussen. DOROTHEA HAHN