Schwul – kein Problem? Von wegen!

■ Bernd K. ist schwul und lebt in der Provinz – Mit seinem Coming-out begann für ihn ein wahrer Spießrutenlauf

Schon früh morgens fing für Bernd K. der Terror an. Kaum war er an der Bushaltestelle angekommen, fielen Sprüche wie: „Hey, da ist unsere Schwuchtel ja wieder.“ Irgendwann hat er das nicht mehr ausgehalten. Da ist er jeden Morgen die 20 Kilometer aus seinem kleinen Dorf zu den Berufsbildenden Schulen nach Meppen mit dem Fahrrad gestrampelt.

Immer wieder gerät der 19-Jährige beim Erzählen ins Stocken. „Ich habe keine Lust mehr, mir diese Diskriminierungen länger gefallen zu lassen“, sagt er. Er will ganz „normal“ wie jeder andere Mensch leben. Dazu gehört für ihn, dass sein Anderssein akzeptiert wird. Bereits in der Realschule musste Bernd sich mit dummen Sprüchen und tätlichen Angriffen herumschlagen, aber danach hat für ihn ein regelrechter Spießrutenlauf begonnen.

Mit 13 Jahren merkte Bernd K., dass irgendetwas bei ihm anders lief als bei den anderen Jungen. Statt zu Mädchen fühlte er sich viel mehr zu Jungs hingezogen. Das brachte den Teenager zuerst mächtig durcheinander. In dem streng katholischen Elternhaus war Homosexualität kein Thema. Bis heute wissen die Eltern, die einen kleinen Hof haben, nichts von seiner Neigung. Davon ist Bernd fest überzeugt.

Mit 15 Jahren – damals noch auf der Realschule – bekannte sich Bernd zum ersten Mal zu seiner Homosexualität. Auf einer Party erzählte er Mitschülern davon. Die Reaktionen fielen durchaus gemischt aus: Manche distanzierten sich. Andere ließen seither keine Gelegenheit mehr aus, über seine sexuelle Orientierung zu feixen. „Ich empfand das alles noch nicht als negativ. Die Sprüche hielten sich in einem erträglichen Rahmen“, sagt er.

Auf der Realschul-Abschluss-party allerdings wendete sich das Blatt. Da wurde Bernd von einem Jugendlichen wiederholt heftig provoziert. „Ich hab darauf nicht reagiert“, sagt Bernd. Aber plötzlich schlug der andere brutal zu. Erst am nächsten Tag ging Bernd K. ins Krankenhaus. Sein Kopf war stark geschwollen, auf dem linken Ohr konnte er nicht mehr hören – Gehirnerschütterung. Noch von der Klinik aus erstattete er Anzeige und erhielt tatsächlich später Schmerzensgeld.

Unerträglich wurde das Leben von Bernd K. erst, als er im August 1999 das Berufsgrundschuljahr Agrarwirtschaft (BGJ) an den Berufsbildenden Schulen in Meppen begann. Klar, Gerüchte über ihn habe es schon gegeben, äußert er schulterzuckend, aber „na ja...“. Irgendwann wollte er das Versteckspiel beenden. Also tanzte er ganz offen mit seinem damaligen Freund in der Melstruper Disco „Kuper“. „Hier ist am Wochenende immer der Bär los“, so Bernd K. Womit er nicht gerechnet hatte: Der Disc-jockey kommentierte durchs Mikro die eng umschlungenen jungen Männer. „Mensch Leute, seht mal, da sind zwei männliche Schlampen unter uns.“ Innerhalb von Sekunden stoben die Leute laut kreischend auseinander, so Bernd K. Er suchte mit seinem Freund schnells-tens das Weite.

Am Montag danach begrüßten Mitschüler ihn mit Schimpfwörtern, unter denen „Arschficker“ noch die harmloseste Variante war. Auch im Unterricht fielen diskriminierende Bemerkungen. „Ich konnte die Situation schwer einschätzen, denn ich wusste nicht, ob und was an den ganzen Gerüchten um Bernd dran war“, windet sich die damalige Klassenlehrerin. Allerdings habe sie die Diskriminierung in der Klasse unterbunden. Mitte Dezember sprach sie Bernd K. an. Die angebotene Hilfe lehnte er jedoch ebenso ab wie den Vorschlag, seinen Fall beim Schulleiter vorzutragen. „Ich war völlig durcheinander und hatte einfach Angst“, sagt er unsicher. Auf seiner Oberlippe bilden sich feine Schweißperlen. Es fällt ihm schwer, die passenden Worte zu finden. Anschließend hat Bernd drei Tage im Unterricht gefehlt – wegen „seelischer Grausamkeiten“ stand auf seiner Entschuldigung.

„Für uns wäre es einfacher gewesen, wenn Bernd sich gewehrt oder sein Problem offen thematisiert hätte“, sagt Schulleiter Franz Egbers. „Natürlich muss Schule für solche Vorfälle sensibel sein, egal um welche Form von Diskriminierung es geht.“ Mittlerweile hat der Schulleiter alle Hebel in Bewegung gesetzt, „damit die Kollegen in Zukunft Augen und Ohren offen halten“.

Und Bernd K.? Er hat sich mittlerweile gegen die Landwirtschaft entschieden und eine Ausbildung in der Gastronomie begonnen. Chefin und Team würden ihn so akzeptieren wie er ist und die Arbeit mache ihm viel Spaß, sagt er. Von zu Hause ist er ebenfalls ausgezogen. Regelmäßig geht Bernd K. zur Coming-out-Gruppe bei der AIDS-Hilfe in Lingen. Dort findet er Gleichgesinnte und Gelegenheit zum Austausch. Ansonsten gebe es ja nur Treffs in größeren Städten wie Münster oder Enschede, seufzt Bernd.

Mit der Diskriminierung ist es allerdings noch nicht vorbei. Vor kurzem hat er von einem Ex-Mitschüler aus dem BGJ die Nachricht „Schwuchtel“ auf seinem Handy erhalten. Bernd K. hat ihn angezeigt. Schulleiter Egbers will sich diesen Kandidaten demnächst vorknöpfen. „Zumindest soll klar sein, dass so etwas an unserer Schule nicht toleriert wird“, knurrt er und das klingt wie eine Kampfansage.

Susanna Austrup