Kultur in der globalen Mausefalle

Bei einem Symposium vergleichen Berlin und Hongkong Versuche, sich als Global Cities zu positionieren. Hongkong fehlt Kultur, Berlin Ökonomie

von FRANK ROOST

Berlin und Hongkong müssten sich eigentlich komplett unterscheiden. Westberlin war eine marktwirtschaftlich orientierte Insel, deren System vom umliegenden sozialistischen Staat und der anderen Stadthälfte übernommen wurde. Das vom Kapitalismus geprägte Hongkong dagegen ist einem der letzten kommunistischen Staaten der Welt eingegliedert worden.

Doch angesichts der Selbstbeschränkung der chinesischen Regierung, Hongkong an der langen Leine zu führen, und vor allem aufgrund der von der Globalisierung vorgegebenen Rahmenbedingungen ergeben sich mehr Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Städten als erwartet. Dies war zumindest die Auffassung der Teilnehmer des Symposiums „Kultur und Wirtschaft in Hongkong und Berlin“, das am Wochenende im Haus der Kulturen der Welt stattfand.

Bei den beharrlichen Versuchen, ihre Stadt in die erste Liga der ökonomisch und kulturell weltweit ausstrahlenden Global Cities zu bringen, nehmen sich Politiker und Wirtschafts-Offizielle beider Städte auch in der Tat nicht viel. Doch während Berlin als Kulturstadt ersten Ranges gelten kann, ökonomisch aber kaum über Brandenburg hinausstrahlt, ist Hongkong zwar ein bedeutender Standort der globalen Finanzindustrie, bietet aber kulturell wenig.

Daher versucht Hongkong nun mittels staatlicher Planung kulturbezogene Wachstumsbranchen wie Multimedia, Unterhaltung und Tourismus anzulocken. In der für Ostasiens bürokratische Herrschaftssysteme typischen Manier sollen Großprojekte helfen. Stolz verweist Hongkongs oberster Tourismusmanager Peter Mann darauf, dass der Fremdenverkehr demnächst durch den Bau eines Disney-Vergnügungsparks angekurbelt werden wird.

Was er nicht erwähnt: Nach zähen Verhandlungen wird der Micky-Maus-Konzern nur 300 Millionen der nötigen 3,5 Milliarden US-Dollar selbst aufbringen. Die Hälfte der Kosten subventioniert Hongkongs Regierung, der Rest kommt von chinesischen Firmen. Disney erhält zum Spottpreis einen Zugang zum bevölkerungsreichsten Land der Welt, nur der Nutzen für die „Mausefalle“ Hongkong bleibt unsicher.

Erst kurz vor dem Ende seiner Eigenständigkeit hat Hongkong begonnen, seine kulturelle Identität zu finden, meint der Literaturwissenschaftler Benjamin Lee. Dabei war die Arbeit junger Filmemacher über ihre Heimat als chinesische Stadt besonderer Art ein wesentlicher Schritt. Als kommerziell verquaste Version dieser Identität der „westlichsten Stadt Ostasiens“ betreibt die Regierung nun eine touristische Selbstinszenierung. Die britischen Verwaltungsbauten werden herausgeputzt, Fußgängerbereiche mit Straßencafés nach europäischer Art sollen entstehen, und nach dem Vorbild von San Francisco wird ein Teil des Hafens zum Vergnügungsbereich umgebaut.

Auch ökonomisch gilt die kalifornische Stadt als Modell, denn Hongkong soll sich zum asiatischen Silicon Valley entwickeln. Die Regierung plant den Bau eines zwei Milliarden Dollar teuren „Cyberport“. Dort sollen Webdesigner und Kommunikationsspezialisten leben, einkaufen und, so die zuständige Ministerin Annie Tam, „24 Stunden täglich arbeiten“. Zahlreiche Großunternehmen der Branche aus den USA und Japan wurden bereits angeworben.

Von dieser kreativen Vielfalt habe Berlin dagegen genug zu bieten, meint Volker Hassemer, Chef der Marketinggesellschaft „Partner für Berlin“. Mit Millionenspenden aus der Industrie betreibt er Stadtmarketing und hat auch das Symposium gesponsert. Er hat die Bedeutung der kulturellen Vielfalt Berlins für seine Klientel erkannt, und versucht nun, dies als Standortvorteil zu nutzen. Nachdem er als Senator selbst jahrelang Großprojekte wie den Potsdamer Platz forciert hat, setzt er nun, da dieses Modell keine weiteren Investitionen mehr verspricht, auf Kleinteiligkeit, Vielfalt und Kreativität. Berlins Vorteil liege eben darin, dass es hier statt großer Konzerne oder einem riesigen Cyberport hunderte kleiner, kreativer Firmen am Prenzlauer Berg gibt. Dabei prophezeit der Stadtvermarkter, der einst Berlin zur Global City katapultieren wollte, dass die Stadt schon bald der wichtigste deutsche Standort der Kommunikationsbranche sein werde.

Auch wenn Hassemer dabei Kunst und Kultur über den Standortfaktor hinaus einen Wert im traditionellen bürgerlichen Sinne als „zweckfrei“ zugesteht, zeigt sich letztlich seine Hierarchie: Die Einrichtungen am Kulturforum, so Hassemer, müssten sich nicht hinter den großen Firmennamen am Potsdamer Platz verstecken. Auf die Idee, dass es auch umgekehrt sein könnte, kommt der ehemalige Kultursenator aber nicht.

Auf diese Weise entwickelt sich, wie die Kulturwissenschaftlerin Susanne Hausen feststellt, die Kultur zur Ressource für Wirtschaftswachstum und die Hochkultur zum Teil der Imageproduktion der Stadt.

Für Jeannot Simmen, den Gründer eines Multimedia-Events, haben sich die Grenzen zwischen Kunst und Business ohnehin längst aufgelöst. Für ihn wird die bisherige Kulturindustrie abgelöst werden von den boomenden new creative industries, die etwa Internet-Auftritte für Konzerne gestalten. Als digitales Pendant zu erlebnisorientierten Showrooms wie Niketown oder Sony Center tragen sie dazu bei, Lifestyle-orientierte Produkte und Marken wie Swatch oder Smart emotional aufzuwerten.

Und so dürfen im November auch auf Kosten der „Partner für Berlin“ einige dieser Künstlerjungunternehmer mit nach Hongkong fahren und zum weiteren Abbau der Grenzen zwischen Web-Art und E-Commerce beitragen. Dort können sie dann demonstrieren, dass urbane Vielfalt Menschen zu kreati- ven Selbstausbeutern machen kann.

Ob dabei kulturell mehr als nur digitale Images für globales Kapital und im Gegenzug Risikokapital für Produzenten digitaler Images herauskommen werden, bleibt offen. Aber das reicht ja – Hauptsache, Hassemer hat wieder einen Boom anzukündigen.