Die Macht der Feschisten

Der brillante österreichische Essayist Armin Thurnher bilanziert in seinem neuen Buch ebenso klar wie richtig: Haiders FPÖ profitiert von den Schwächen des Landes – dem Mangel an ziviler Öffentlichkeit, dem Mangel an Mut in der politischen Klasse und dem Mangel an intellektueller Redlichkeit.

von ROBERT MISIK

Zwar wächst das Rettende nicht immer, wo Gefahr ist, aber meist findet sich in jeder Tragödie ein erfreuliches Moment: Im Falle der österreichischen Verwicklungen ist dies – neben dem im Frühjahr viel gefeierten „Aufstand der Zivilgesellschaft“ – der Aufschwung der politischen Publizistik. Nicht nur ist die Liste der Veröffentlichungen über die österreichische Lage im Allgemeinen und das Phänomen des zu Regierungsmacht aufgestiegenen Populismus im Besonderen bald unübersehbar; auch neue Genres erblicken das Licht der Welt: so etwa der erstaunliche „Weisenbericht“ der Herren Ahtisaari, Frohwein und Oreja. Schnörkellos, in heller Sprache und von klarem Verstand, punktiert in 119 Absätzen wird hier das Drama des Landes auf 33 Seiten (exklusive Anhang) gezwängt. Doch die öffentliche, politische Lektüre dieses Textes, die ihr Augenmerk nur einigen wenigen Zitaten und schlagzeilenträchtigen Schlussfolgerungen schenkt, würdigt das Phänomen dieser Textart nicht ausreichend. Denn solchen Berichten wird in einer transnationalen Ordnung, in der sich die klaren Instanzen zu Gunsten supranationaler und intergouvernementaler Unübersichtlichkeiten auflösen, möglicherweise eine große Zukunft beschieden sein.

Diese etwas lange Einleitung zur Besprechung eines ganz anderen Textes mag gestattet sein, sind wir doch, wenn wir einen Aufschwung der Textproduktion konstatieren, mitten im Lebensthema von Armin Thurnher, der mit seinem Buch „Heimniederlage“ dieser Tage seine Chronik der alpenländischen Geschehnisse von Oktober 1999 bis zum Sommer 2000 vorlegt.

Thurnher ist eine in Österreich singuläre Erscheinung – und vielleicht ist das schon eines der Symptome der österreichischen Tragödie. Denn Thurnher ist ein immer intelligenter, prinzipiell bedächtiger – oft drängender, nur selten zynischer Autor. Und diese seine Autorenschaft ist keine solitäre Angelegenheit, die sich dann und wann in Büchern niederschlägt – so erst im Vorjahr mit seinem viel gefeierten Essay über den Status Österreichs „Das Trauma, ein Leben“ –, sondern mit seiner wöchentlich erscheinenden Zeitschrift Falter, der er als Chefredakteur vorsteht, ja mehr noch: die er verkörpert. Was das heißt, ist aus der Ferne wohl kaum ausreichend zu würdigen, aber vielleicht gibt der Thurnhersche Hinweis eine Ahnung: Dieses Land ist ein „Labyrinth, wo die Öffentlichkeit aussieht wie Öffentlichkeit, aber keine ist“.

Thurnhers „Nachrichten aus dem neuen Österreich“ nun sind über weite Strecken von anderer Art als seine wöchentliche Publizistik, auch als seine politisch-literarischen Essays: Sie sind eine Chronik, die anekdoten- und faktenreich beschreibt, was den Aufschwung der Freiheitlichen begünstigt und was Wolfgang Schüssel erstens dazu verleitet hat, mit der Haider-Partei zu koalieren und zweitens ihm ermöglicht hat, seine Koalition der „Schande“ (Thurnher scheut den Gebrauch des Substantivs in diesem Zusammenhang nicht) zu stabilisieren. Noch einmal erhebt er jene „Wendegeilheit“ aus dem Nebel der Erinnerung, die „Rückseite des Verdrusses an der ewigen Koalition“, die es dem trostlosen SPÖ-Vorsitzenden Viktor Klima im vergangenen Herbst verunmöglicht hatte, im Wahlkampf Tritt zu fassen. „Es roch nach Wende“, denn „Österreich fühlte sich nicht gut“, und plötzlich verströmten die freiheitlichen Parvenüs, denen lange der Geruch des Mobs angehaftet hatte, den „Duft des Erfolgs“. Sie wurden empfangen, wo immer sie sich sehen ließen, als „Generation kommender Sieger“. Da diese Faszination sich durchaus auch mit der Panik vor einer möglichen Regierungsübernahme der Freiheitlichen paaren ließ, hat Thurnher das schöne Prädikat „Angstlust“ für die Mentalität des vergangenen Herbstes geprägt.

Ob man Österreich für zivilisiert hält, das hängt vom gebrauchten Zivilisationsbegriff ab. Zwar mögen Weise und weniger Weise Recht haben, dass hierzulande Ausländer nur selten durch Städte gejagt und am helllichten Tag erschlagen werden, doch zitiert Thurnher eine französische Freundin mit dem Satz, dass die Leute hier dennoch rassistischer sind als anderswo, merke man, „wenn man die deutsche Grenze überquert“. Vielen ist „normal“ geworden, was nicht immer normal war und vor allem nicht normal sein müsste: „Geschorene Muskelpakete, aufgerissene Augen, Schaum vorm Mund: ,Hier regiert die FPÖ‘ “, so Thurnhers Beobachtungen während des FPÖ-Wahlkampfes im Herbst. (Im Weisenbericht heißt es hierzu, die FPÖ habe „eine Atmosphäre geschaffen, in der offen ausgesprochene Bemerkungen gegen Ausländer salonfähig wurden“.)

Nun kam „dieser Politiker“, dem Thurnher auch durchaus dämonische Züge attestiert, weit nach oben, und dies sagt manches über dessen Gefährlichkeit aus, mehr noch aber „über die Gesellschaft, die das zuließ“. Es ist dies das große Thema Thurnhers, das Österreich als Mangelerlebnis – der Mangel an ziviler Öffentlichkeit, der Mangel an Mut der politischen Klasse, der Mangel an intellektueller Redlichkeit, der Mangel an öffentlichem Gebrauch und festem Stehen zu demokratischen Rechten. Er nennt seit Jahr und Tag die Haideraner nicht „Faschisten“ (dies sei den Alarmisten vorbehalten) aber doch „Feschisten“ (was bisweilen ins Fa. . . oszilieren kann), diese Neuen mit ihren fitten Körpern, die sie der „alpinen Siegersymbolik“ entliehen haben, mit ihrer Verachtung für die „alten Säcke“, womit nicht nur die Politiker der alten Koalition gemeint sind, „sondern schlechthin verfasste Politik“.

Doch die Feschisten kommen hier nicht aus dem Nichts, denn auch der normale, „anständige“, Durchschnittsösterreicher würde eher Thurnher für einen Übertreiber als die Freiheitlichen für eine Gefahr halten. So ist eine der aufschlussreicheren Anekdoten in Thurnhers Buch jene Episode, die sich begab, als Wolfgang Schüssel im Washingtoner Holocaust-Museum einen Film betrachtete, in dem der ehemalige Reichskanzler von Papen und sein damaliger Stellvertreter Adolf Hitler zu sehen sind: „Auf die Frage, wer der Mann neben Hitler sei, erklärte Schüssels Gesprächspartner: ,Franz von Papen, ein nationalkatholischer Politiker, der Hitler zur Macht verholfen hat und glaubte, ihn zähmen zu können.‘ Schüssels Antwort war ein knappes ‚Aha‘.“

In diesem Land brauchte es symbolische Aktionen von außen, die „Österreich in jene Schmuddelecke“ stellten, „in die die FPÖ und die sie tragenden Kräfte im Inland längst gehört hätten“. Hier fehlt es an demokratischer Selbstkontrolle, so Thurnhers Urteil, und die bekam „das Land nun in Form von Maßnahmen von außen nachgereicht“. So sieht Thurnher das, und die Weisen sehen das nicht unähnlich, meinen aber, „dass die von den 14 Mitgliedsstaaten der EU getroffenen Maßnahmen kontraproduktiv wirken würden, wenn sie fortbestünden“.

Thurnher jedenfalls ist weise genug, es für möglich zu halten, dass die Lage ohne Sanktionen noch unerfreulicher wäre.

Armin Thurnher: „Heimniederlage. Berichte aus dem neuen Österreich.“ Zsolnay, Wien/München 2000. 256 Seiten, 34 DMEbenfalls lesenswert:Armin Thurnher: „Das Trauma, ein Leben. Österreichische Einzelheiten.“ Zsolnay, Wien/München 1999. 328 Seiten, 39,80 DM