wunschproduktion im kinderzimmer: fotos von reinhard matz

Kinder begreifen die Welt schneller, wenn sie die Dinge lieben, von denen sie lernen sollen. Und sie lieben vor allem das, was ihnen in ihrem noch sehr engen Gesichtskreis visuell gefällt. Deshalb hat der Fotograf Edward Steichen 1930 auch sein „First Picture Book“ gemeinsam mit seiner Tochter, der Reformpädagogin Mary Steichen Calderone, zusammengestellt. Sie entschied, dass den Kleinen das Kinderbett näher ist als die Wohnzimmercouch; sie wusste, dass ein verchromtes Telefon hell im Licht funkeln oder ein Brot dick mit Butter beschmiert sein muss, damit es die nötige Aufmerksamkeit bekommt. Dann erst will man wissen, wie die Dinge heißen und wie sie sich dem eigenen Leben zuordnen lassen. Das Projekt von Steichen sollte Kindern den Alltag zeigen.Jetzt hat sich der Fotokünstler Reinhard Matz mit „Verspielt“ an einem Remake der 24 Original-Bilder versucht (Edition Braus, 64 Seiten, 49,90 DM). Das Buch funktioniert tatsächlich immer noch über den Nahbereich aus Frühstücksstulle, Badespielzeug und Kuscheltieren. Doch die Gegenstände haben sich gegenüber der kar-

gen Dingwelt von 1930 enorm verändert: Heute gehören nicht mehr Holzkarren oder Gänseblümchen, sondern McDonald’s-Tüten, Barbies und Mal-Computer zum Umfeld des Nachwuchses. „So wurden aus dem Zeitgeist und Design des Industriezeitalters jene des Massenkonsums und der Medienwelten“, wie Matz im Nachwort schreibt. In der Rekonstruktion verschiebt sich auch der Stellenwert der Fotografie: Sie ist nicht mehr nur sichtbares Abbild der Dinge, sondern selbst von vorhergehenden Bildern überlagert – unmittelbar aus Sicht des Kindes zwar, aber doch schon Bild gewordenes Gedächtnis, nämlich Steichens Vermächtnis.Entsprechend kühl und ebenso geschickt geht Matz vor, um die neuen Produkte in ihrer überbordenden Plastikbuntheit darzustellen. Schließlich wollte er keine sentimentale Neuauflage produzieren, die bloß an Erinnerungen von verklärten Erwachsenen rührt.Die Fotos sollten möglichst unverstellt und ungeschönt kindliche Wahrnehmung von heute widerspiegeln. Zwischen Gameboy und Watchman ist nur der Ball noch immer rund. hf