„Denken kann der Angeklagte, was er will“

Erneut Strafe zur Bewährung: Jugendlicher, der sich bereits durch mehrere Straftaten mit rechtem Hintergrund hervorgetan hat und wegen weiterem Verfahren abtauchte, kam vor Gericht wieder mit einem blauen Auge davon

Raspelkurz sind die Haare des Angeklagten. Sein kräftiges Kreuz, sein dicker Nacken und die muskulösen Arme und Beine lassen viel Krafttraining erkennen. Nur Reden ist nicht sein Ding. „Das wird bestimmt so gewesen sein“, sagte der 21-jährige Christian S. nach Verlesen der Anklageschrift vor dem Amtsgericht Tiergarten. Darin wird dem Neubrandenburger vorgeworfen, am Vatertag vor drei Jahren, am 8. Mai 1997, zusammen mit anderen Jugendlichen erst in einem Nachtbus einen Studenten aus Bayern als „Scheißjude“ und „Scheißkanake“ beschimpft und verprügelt und eine Dreiviertelstunde später zwei junge Männer und eine Frau in der S-Bahn attackiert zu haben.

Es war nicht das erste Mal, dass Christian S. vor Gericht steht. Nach mehreren Verfahren wegen Zeigens verfassungsfeindlicher Kennzeichen wurde er im Juni 1998 wegen schwerer Körperverletzung, des Zeigens nationalsozialistischer Kennzeichen und Volksverhetzung zu einer Jugendstrafe von 15 Monaten auf Bewährung verurteilt. Wenige Stunden vor den Angriffen in Bus und S-Bahn am 8. Mai 1997 hatte er zusammen mit anderen Rechten zwei Männer und eine Frau in einer Straßenbahn mit rechten Parolen beschimpft und der Frau ein Bierglas an den Kopf geworfen. Weil er später untergetaucht war, fand das Verfahren wegen der nächtlichen Randale erst gestern statt.

Aufgeklärt werden konnten die Taten nur, weil ein Rechter aus der Gruppe geplaudert hatte. Der Zeuge, der derzeit wegen „Heil Hitler“-Rufen, Körperverletzung und Raub im Gefängnis Tegel einsitzt, bestätigte gestern, ebenso wie vier weitere Zeugen, die Tatbeteiligung von Christian S. Außerdem sagte er gegenüber der taz, dass Christian S. damals öfter bei Treffen der „Kameradschaft Köpenick“ gewesen sei.

Davon distanzierte sich der Angeklagte gestern. „Mit dem rechten Umfeld habe ich nichts mehr zu tun“, sagte er. Das Gericht, das keine weiteren Fragen zu seinem vermeintlichen Gesinnungswandel stellte und stattdessen nur darauf verwies, dass Christian S. in den vergangenen zwei Jahren nicht straffällig geworden ist, verurteilte ihn unter Einbeziehung der ersten Bewährungsstrafe zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung. Zudem muss er einem der Opfer, das einen Nasenbeinbruch davontrug, 2.000 Mark Schmerzensgeld zahlen und die Kosten des Verfahrens tragen.

Mit breitem Grinsen verließ Christian S. den Gerichtssaal. „Er ist tierisch gut davongekommen“, sagte der Zeuge, dem er die Nase gebrochen hatte. „Wir wollen erreichen, dass keine Straftaten mehr begangen werden“, erklärte Richter Peter Moritz im Anschluss. „Denken kann der Angeklagte, was er will.“B. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA