Feuer für Fire

Kuba Jozeflzyk ist Fußballfan in der Diaspora. Der polnische Einwanderer versteht sich als Entwicklungshelfer in Sachen Stadionatmosphäre und versucht in Chicago Stimmung zu machen

aus Chicago OLIVER LÜCK

Er trägt das Trikot des Erstligisten Widzew Lodz und beobachtet die Menge. Ganz vorne in der „Feuerwache“, dem lautesten Fanblock des Chicagoer Soldier Field, mustert er alles, schüttelt immer wieder mit ernstem Blick den Kopf, als wolle er sagen: Nein, das ist doch nicht die Stimmung wie bei einem Fußballspiel. Und dann sagt er es auch. Beide Arme wie ein Dirigent gen Himmel gestreckt, schreit er es heraus, bis er heiser ist und seine Mundwinkel taub werden. Nur selten gönnt sich Kuba Jozeflzyk beim Anheizen des Major-League-Soccer-Teams Chicago Fire eine Auszeit. Denn der 22-Jährige ist Pole und versteht sich als Entwicklungshelfer in Sachen Fußballatmosphäre.

Allerdings nicht ohne lautstarke Unterstützung: Im Fanblock sprechen viele polnisch. Etwa fünfzig in Chicago lebende Landsleute haben sich zum ersten polnischen Fanclub in den USA, den Fire Ultras Polska, gruppiert. „Wir stehen und singen während des gesamten Spiels“, betont etwa Sladmir (24). Angesichts der sonst oft teilnahmslos und ausnahmslos sitzenden Besucher, im Schnitt finden sich 14.000 im viermal so viel fassenden Rund ein, eine echte Besonderheit.

Der Kick ist ihm wichtig. Das Land und die Leute eher weniger. „Ich mag die USA nicht, bin nur zum Geld verdienen gekommen“, sagt Kuba. Als der Kommunismus in Polen kollabierte, trennten sich die Wege seiner Eltern. Seine Mutter verabschiedete sich über den großen Teich. Kuba blieb bei seinem Vater in Rzeszow. Die rund 150.000 Einwohner zählende Stadt im Südwesten Polens, wo einige der größten Metallfabriken des Landes qualmen, hatte jedoch für einen jungen Mann nicht viel zu bieten: Keine Arbeit und mit Stal Rzeszow nur einen Drittligisten. „Die Menschen wurden immer unzufriedener“, erzählt er.

Es war vor zwei Jahren, als Kuba seine Sachen packte, sich zusätzlich zum bereits Ersparten etwas Geld lieh und ein One-Way-Ticket Warschau – Chicago buchte. Die Eintrittskarte in eine bessere Welt, wie er damals glaubte. Doch auf dem sonst unbeschriebenen Blatt USA stand nur die Adresse seiner Mutter.

Bereits in den ersten Wochen schwebte ihm sein Optimismus davon wie ein mit Helium gefüllter Luftballon. Die Ungewissheit, wie es weitergehen würde, dauerte Monate, schließlich bekam er eine Aufenthaltsgenehmigung samt Arbeitserlaubnis. Als das Warten eine Ende hatte, fand er zunächst einen Job als Packer in einem Supermarkt, anschließend arbeitete er kurzzeitig im Chicagoer Hafen. „Es war alles viel schwieriger, als ich gedacht hatte“, blickt er zurück. Schließlich kam er bei einer privaten Telefongesellschaft unter, wo er nach einem Jahr nun eine Ausbildung als Techniker beginnt.

Der Fußball ist für ihn „wie eine Heimkehr nach Polen“. Kein Heimspiel lässt er sich entgehen, auf kostspielige Auswärtsfahrten nach New York oder Tampa Bay begleitet er das Team. Mit Basket- oder Baseball hat er noch nie etwas anfangen können. Und er ist auch gar nicht scharf darauf. Die meisten in Chicago lebenden Polen wollen ihren geliebten Fußball sehen. „This is the real football“, sagen viele und denken dabei abwertend an Onkel Sams Variante mit dem Ei. „Beim Fußball müssen die Amis noch viel von uns lernen“, hat Kuba sich seine eigene Wahrheit zurechtgelegt. Es spricht das mit den Monaten gewachsene Selbstvertrauen aus ihm. Die Verbundenheit innerhalb des Fanclubs bestärkt ihn in seinem Glauben, habe ihm gar durch so manche Krise geholfen. Polnische Wurzeln in den USA gäbe es doch schließlich seit über 200 Jahren, als erstmals Heimatvertriebene und Neuanfänger immigrierten, erklärt er. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Einwanderer wieder etwas angewachsen. Rund eine Million Menschen polnischer Abstammung leben im Großraum, Chicago gilt als zweitgrößte Stadt Polens nach Warschau.

Letztes Jahr gab es für die polnischen Fire-Fans noch drei Lieblinge in der Mannschaft. Nach dem Weggang von Roman Kosecki und Jerzy Podbrozny ist mit Peter Nowak, dem 36-jährigen Kapitän und ehemaligen Profi von 1860 München, nur noch ein Landsmann im Aufgebot. Dieser aber habe bisweilen, weiß Kuba, „glänzende Entwicklungshilfe auf dem Platz“ geliefert. Nach 32 Spielen sicherte sich Chicago Fire vergangenes Wochenende die Meisterschaft der Central Division und trifft am Freitag im ersten Play-off-Viertelfinale auf New England Revolution.

Einige Mitglieder der polnischen Fangemeinde tragen ihr Kopfhaar allerdings auf halber Streichholzlänge und sehen nicht ganz ungefährlich aus. Vernunft und Beherrschung sind bei vielen von ihnen im Bier ertränkt. Bei einem Auswärtsspiel in Columbus wurden Rauchbomben geworfen, und es kam zu Schlägereien mit Fans der Heimmannschaft. Drei Fire Ultras wurden einige Tage inhaftiert.

Kuba zählt sich nicht zu dieser gewaltbereiten Fraktion. Er ist zufrieden, wenn ihm nach einem Spiel wildfremde Leute auf die Schulter klopfen und sich für die „tolle Atmosphäre“ bedanken. „Auch in zehn Jahren noch Profi-Fußball in Chicago wäre toll“, meint er. Insgeheim hofft er jedoch, schon viel früher wieder nach Polen zurückzukehren.

Zitat:„Ich mag die USA nicht, bin nur zum Geld verdienen gekommen“, sagt Kuba