Die Kommune kehrt zurück

Der britische Medientheoretiker Richard Barbrook glaubt nicht, dass die Medienkonzerne ihr Urheberrecht im Internet durchsetzen können. Auch sie müssen sich den Regeln der Ökonomie des Schenkens anpassen, die im Cyberspace gelten

von VERENA DAUERER

Medienunternehmen betrachten das Internet als Handelsplattform, und der allgegenwärtige E-Commerce scheint ihnen Recht zu geben. Mit der Tauschbörse „Napster“ jedoch ist erneut ins öffentliche Bewusstsein gerückt, dass im Internet eigentlich ganz andere Regeln gelten: Alles an Informationen, Programmcodes und anderen Daten soll frei zugänglich sein. Besitz dagegen und gar das Festhalten daran „ist was für Spießer und knauserige Konzerne, denen die paar Verluste doch nichts anhaben können“, so die prototypische Meinung aus einem Chatroom.

Napster, das steht inzwischen fest, war nur der bekannteste Vorläufer einer ganzen Reihe ähnlicher Programme. Das Internet kehrt damit zu seinen Wurzeln zurück. Es scheint einer Hippie-Kommune zu gleichen, in der alles für alle frei ist. Kann es dem Druck der wirtschaftlichen Interessen dauerhaft standhalten? Immerhin ist der Prozess gegen Napster noch nicht abgeschlossen.

Richard Barbrook, Dozent für Hypermedia an der Uni von Westminster und Autor des Online-Musikmagazins Mute (www.mute.com) und des deutschen Netzfeuilletons Telepolis (www.heise.de/tp/), glaubt nicht, dass ein juristischer Sieg der Musikindustrie die Tendenz umkehren kann. „Sie nehmen an“, sagt er, „dass die Staatsgewalt das Schwinden des intellektuellen Besitzes verhindern kann. Ich sehe die Wirksamkeit von legalen Sanktionen skeptischer. Sogar die Stasi konnte die DDR nicht retten.“

Der Vergleich ist gewagt, doch mit dem Internet scheint Barbrook ein historischer Rollentausch verbunden zu sein. Heute sind es die globalen Konzerne, die wie Planbürokratien auf die Herausforderungen eines ganz neuen, freien Marktes reagieren. „Cyberkommunismus“ und „High-Tech-Geschenkökonomie“ sind Barbrooks Schlüsselbegriffe. Er schreibt: „Der Schutz des Urheberrechts hat sich als Haupthindernis der Online-Zusammenarbeit erwiesen. Die meisten Leute profitieren mehr davon, Informationen ohne Gebühr in Umlauf zu bringen, als mit Kulturgütern zu handeln. Indem sie ihre eigenen Bemühungen weitergeben, bekommen die Netz-User immer die Ergebnisse einer viel größeren Arbeitsmenge von den anderen zurück. Die Knappheit durch das Urheberrecht kann nicht gegen den Überfluss an Geschenken antreten. Weit davon entfernt, die Schaffung von Gütern zu intensivieren, ist das Netz die praktische Rechtfertigung des alten Hacker-Slogans ‚Information will frei sein‘.“

„Don’t only believe the e-commerce-hype“, so mischt Barbrook den Song von Public Enemy für das Netzgeschäft um. Die Konzerne haben mit einer langen Vorgeschichte ihrer Gegner zu rechnen. In den 60er-Jahren kultivierte die Linke eine „Do-it-yourself-Kultur“, die Barbrook als „politisches Wortspiel“ versteht: „Mach es lieber selber, bevor ein Bürokrat dich organisiert.“ Davon beeinflusst, gründeten Medienaktivisten freie Sender, die Punkbewegung erfand ihre Mode, Musik und Fanzines. In den 80ern und 90ern traten Raver und militante Umweltschützer die Nachfolge an, und das Internet schließlich entwarf aus demselben Grundgedanken seine eigentümliche Tauschregeln. Es wurde zuerst an Univeritäten weiterentwickelt. Weil Wissenschaftler ihre Ergebnisse nicht gleich in vermarktbare Güter umwandeln müssen, sind sie eher auf den freien Informationsaustausch angewiesen als Konzerne. Für sie gab es daher keinen Grund, intellektuellen Besitz zu schützen, es war wichtiger, die Software und die Technik voranzutreiben, um Daten im Netz verfügbarer zu machen.

So enthalte auch heute noch das World Wide Web, das ja ursprünglich nur als Navigationsinstrument für die weltweit verteilten Daten der Wissenschaftler erfunden worden war, die Idee, technischen und sozialen Besitz einfach aufzugeben. Für Barbrook sind seine User immer noch „Anarchokommunisten im Cyberspace“, insofern sie ihr Wissen an andere weitergeben, ohne sich untereinander zu kennen oder emotionale Bindungen einzugehen – und das sogar aus Eigennutz: Mit seiner Anwesenheit im Netz bereichere der User das Kollektivwissen und sichere sich zugleich seinen eigenen Zugang dazu, so versucht Barbrook den erstaunlichen Erfolg der technisch noch sehr unvollkommenen Peer-to-Peer-Netze zu verstehen. Jeder lade auch unter diesen primitiven Bedingungen viel mehr herunter, als er je zurückgeben könne.

Vor der Flexibilität und Spontanität dieser Geschenkökonomie fürchte sich die Industrie viel mehr als vor ihren möglichen Umsatzverlusten, meint Barbrook. Ein Track sei sofort nach seiner Entstehung zum Sampeln und Remixen freigegeben, ohne dass Geld oder politische Institutionen dazwischentreten. Der „Anarchokommunismus“ sei damit eine Art informeller, ungeschriebener Sozialvertrag, der sowohl Altruismus als Eigennutz fördere.

Kooperation statt Verbot

Eine Verschärfung des Urheberrechts würde dagegen dem Netz eine Informationsknappheit aufzwingen, die es technisch gerade überwunden habe, und Barbrook zweifelt nicht daran, dass die Ökonomie des Verschenkens der Ökonomie des Besitzens überlegen ist. Er verweist auf Open-Source-Programme wie den Server „Apache“ oder das Betriebssystem „Linux“, die dem Softwaregiganten Microsoft Marktanteile entreißen. Standards, die „jeder und niemand besitzt“, sagt Barbrook, seien die einzige Alternative zu einem privaten Monopol mit technischer Definitionsmacht.

Der Erfolg von Linux oder auch die Freigabe des Quellcodes von Netscapes Browser zeigen, dass kommerzielle Interessen und die Geschenkökonomie nicht immer unversöhnliche Gegensätze sein müssen. Beide können kooperieren, und damit den „Totalausverkauf des Internets“ verhindern, wie Barbrook formuliert. Tatsächlich passt die Verbindung von Kreativität und Kommerz sehr gut zur fröhlichen Mentalität der jungen Start-ups im E-Commerce. Sarkastisch meint Barbrook dazu nur: „Anarchismus ist Neoliberalismus für Hippies.“ vdauerer@t-online.de