Ein Architekt im Dienst von 007

Durch seine futuristischen Setdesigns für Filme wie „Dr. Strangelove“ von Stanley Kubrick und die „James Bond“-Folgen der Sechziger- und Siebzigerjahre erlangte Ken Adam weltweite Berühmtheit. Jetzt, mit Ende siebzig, wird der Brite aus Berlin auch als Ideengeber für die moderne Architektur geehrt. Ein Gespräch über fehlende Vulkane, Sean Connerys Tischmanieren und die Zukunft des Setdesigns

Interview von NIKE BREYER

Nach den vielfachen Auszeichnungen für seine Filmbauten winkt Ken Adam jetzt eine weitere Aufwertung seines Status als Styleprofi. Amerikanische Kunstkritiker entreißen ihn dem Design und schlagen seine Arbeiten den schönen Künsten zu. Die Londoner „Serpentine Gallery“ widmete Adams Skizzen und Entwurfszeichnungen im letzten Winter eine umfangreiche Retrospektive. Für die aktuelle Schau „Sieben Hügel“ im Berliner Martin-Gropius-Bau entwarf er eine Installation. Und auch als Setdesigner hat sich Adam längst nicht zur Ruhe gesetzt: Zur Zeit ist die Mitarbeit an einem Film von István Szabó über den Dirigenten Wilhelm Furtwängler in Planung.

Ken Adam, 78 Jahre, ist deutsch-jüdischer Abstammung und lebt mit seiner italienischen Frau Letizia in einem Haus aus der Zeit von King George im Zentrum von London, Nähe Hyde Park.

taz: Im vorigen Herbst zeigte David Sylvester in London Ihre Skizzen und Entwürfe. Erleben wir nun die Anerkennung von Künstlern der so genannten Populärkultur?

Ken Adam: Ich selbst habe mich nie als Künstler gesehen. Mein Job war, Filmsets zu designen. Aber dadurch, dass im zwanzigsten Jahrhundert, und höchstwahrscheinlich auch im einundzwanzigsten, Film, television und alles, was damit verwandt ist, zur wichtigsten Kunstform wurde – dabei ist sie als kollektive Kunstform zu verstehen –, muss man sich ernsthafter damit beschäftigen. Meine Zeichnungen waren nur die erste Annäherung an mein Ziel. Das Endresultat war das Wichtige für mich, das, was man nachher im Film sieht, was die camera fotografiert. Ich habe mich immer als Handwerker gesehen. Aber viele englische und amerikanische Kritiker haben mir zu verstehen gegeben: „Du bist nicht nur ein Handwerker, du bist ein moderner Künstler.“

Wie kam es zu der Ausstellung?

David Sylvester und ich kennen uns schon sehr lange. Als ich mit vierzehn Jahren als Emigrant nach London kam, habe ich, um Englisch zu lernen, eine Vorbereitungsschule besucht, auf die auch David ging. Er war schon damals, wie er sagte, sehr beeindruckt von mir, weil ich in die Schule ging, ohne Englisch zu können. Ich sprach nur Deutsch und Französisch. Er behauptete (lacht ein bisschen), ich sei „der Weise der Klasse“ gewesen. Nun, ich war auch älter als die anderen Jungs. Später haben wir uns dann immer wieder getroffen – etwa als ich Stanley Kubricks Film „Dr. Strangelove“ gemacht habe. Er war inzwischen ein berühmter Kunstkritiker und Kurator, in England wohl der berühmteste überhaupt und auch in Amerika sehr angesehen. Als man mir 1995 den Ehrendoktortitel verlieh, sagte David, er würde gerne eine Ausstellung über mich machen. Ich hab das dann völlig vergessen, bis vor einem Jahr, als er – er war sehr krank – wieder sagte, dass er, bevor er . . . das Leben verlässt, noch gern diese Ausstellung machen würde. Die Ausstellung war ein großer Erfolg.

Sie haben Architektur studiert?

Ja. Dazu kam ich durch einen Glücksfall. Ich lernte damals einen berühmten Filmdesigner kennen, Vincent Cohen. Vincent riet mir, ich solle architektonische Grundkenntnisse erwerben, wenn ich Szenenbildner werden wolle – also Kunstgeschichte, Komposition, Zeichnen. Deswegen habe ich zwei Jahre auf dem College studiert und daneben drei Jahre in einer Architektenfirma gejobbt, um auch das Praktische zu lernen.

Wann kam der Wunsch, Setdesigner zu werden?

Mit vierzehn oder fünfzehn Jahren. Dabei war mir anfangs nicht klar, ob für das Theater oder für den Film. Durch meine Famlie in Berlin war ich ja auch mit Schauspielern, mit Max Reinhardt und solchen Leuten bekannt.

Durch Ihren Vater?

Auch durch meine Mutter und durch meine Schule. Auf das Französische Gymnasium, das ich besuchte, gingen auch die beiden Söhne von Max Reinhardt, und die waren Freunde von meinem älteren Bruder.

Ihre Kindheit in Berlin erinnern Sie als schöne Zeit?

Die Zeit vor dem Nationalsozialismus – ja. (Letizia Adam kommt dazu)

Der junge Ludwig Mies van der Rohe entwarf 1928 ein neues Ladengeschäft für die Sportbekleidungsfirma Ihres Vaters. Warum wurde der Entwurf nie umgesetzt?

Mr. Adam: Nun, es kam zu Unstimmigkeiten, und später brach natürlich alles zusammen.

Mies van der Rohe war damals noch sehr jung.

Mrs. Adam: Haben Sie Fotos von dem Projekt gesehen? Es war umwerfend: Ich wünschte, Berlin würde heute so aussehen.

Sehr modern.

Mrs. Adam: Clean.

(Ken Adam zeigt ein vergilbtes Foto vom Modell des Mies-van-der-Rohe-Entwurfs in einem alten Fotoalbum sowie andere Familienfotos. Man sieht: Babyboy Ken in einem kleidsamen Kinderanzug.)

Very stylish!

Mr. Adam: Oh ja, ich wurde wie Jackie Coogan angezogen, wissen Sie. Hier, das war bei einer Feier im „Kaiserhof“. Und dies war bei einem Treffen der berühmten Ozeanflieger Kerr, Fitzmorris und Hühnerfeld.

Waren die auch von Ihrem Vater ausgestattet worden?

Ja. Und hier die Schulklasse im Französischen Gymnasium 1933, kurz vor unserem Weggang.

War es in der Schule ein Problem, Jude zu sein?

Es gab eine Reihe jüdischer Schüler in meiner Klasse. Das Französische Gymnasium war sehr liberal, wissen Sie. Es gab nur einen Schüler, der in HJ-Uniform zum Unterricht kam – und einen Lehrer in SS-Uniform. Übrigens von allen der schlechtetste . . .

Auch Marcel Reich-Ranicki erinnert seine Schulzeit als mehr oder weniger liberal.

(Bewegt) Ja, aber ich sah auch . . . Meine Schule lag nah am Reichstag. Ich sah den Reichstag brennen, wissen Sie, that was quite an emotion. (Pause; zurück zum Fotoalbum gewendet) Mein Vater war im ersten Weltkrieg Offizier bei der Kavallerie. Er wurde hoch dekoriert. Dies hier war eine Party zu Ehren von Jackie Coogan.

Wer ist Jackie Coogan?

Damals ein berühmter Kinderstar. Das muss für die Berlinpremiere von Charlie Chaplins „The Kid“ gewesen sein

Sie ist hübsch. Reizendes Mädchen!

Nein, ein Junge.

Oh, ein Junge? Mein Gott.

Sie sollten Ihre Brille aufsetzen (Gelächter). Und der hier ist Amundsen.

Sehr stilvolle Hosen. Können Sie sich an die Kleidung aus dem Geschäft Ihres Vaters erinnern?

Nein. Aber das war Sportswear, maßgemacht. Letizia interessiert sich übrigens auch für Mode.

Mrs. Adam (mit rauchiger Stimme): Well, früher . . .

Ich sah Sie mehrfach auf Setfotos. Haben Sie Ihren Mann begleitet?

Mrs. Adam: Immer!

Bei Biolek hat Ihr Mann gesagt: Meine Frau hat den Geschmack.

Mrs. Adam (wiederholt): Ja, den Ge-schmackkk! (Allgemeine Heiterkeit)

Mr. Adam: Im Krieg war ich Flieger. Mein Spitzname war Heini. Jeder wusste, dass ich aus Deutschland kam. Bei der Royal Air Force tauften sie mich „Heini von the Rocket-RAF“ (blättert weiter). Das war in Wunstorf, kurz nach Kriegsende. Sehen Sie nur, wie arrogant ich aussehe.

Und stylish. So etwas kann man nicht lernen.

Mrs. Adam: Geschmack und Stil kann man nicht kaufen – und Talent.

Mr. Adam: Hier sehe ich merkwürdig aus, nicht wahr?

Ein wenig melancholisch. Ist das ein Teil von Ihnen?

Mr. Adam: Oh ja, no question. (blättert weiter)

Oh (zu Mrs. Adam), Sie waren blond?

Mr. Adam: Sehr blond!

Mrs. Adam (mit rauchiger Stimme): Blond, blue eyes and tall.

Mr. Adam: Und eine sehr gute Schwimmerin. Hier filmen wir gerade mit Burt Lancaster.

Mrs. Adam: Und wieder melancholisch.

Sie waren Pilot?

Mr. Adam: Ja, Jagdpilot. Fünf Jahre lang, bis 1946, man hatte mich gebeten, noch ein Jahr in Deutschland zu bleiben. (Mrs. Adam zieht sich zurück)

In Berlin?

Nein, in Wunstorf, in der Nähe von Hannover. Da war ich, wie sagt man, administration officer von deutschen Kriegsgefangenen, die in Dienstgruppen formiert wurden, und die damals Wunstorf wieder aufgebaut haben. Der Ort wurde später der Hauptstützpunkt für die Berliner Luftbrücke.

1946 gingen Sie zurück nach England?

Ja, und kurz darauf habe ich durch reines Glück beim Film angefangen. Meine Schwester arbeitete damals bei der amerikanischen Botschaft in London, und eines Tages machte sie dort die Bekanntschaft eines kleinen Mannes, der sie fragte, ob sie ihm Requisiten verschaffen könne für einen amerikanischen Film. Darauf ließ sie einfließen, dass sie einen jungen Bruder hätte, der gerade aus der RAF entlassen worden sei und der auch gut zeichnen könne und gern beim Film anfangen würde. So fing alles an.

Hatten Sie sich im Krieg freiwillig gemeldet?

Ja, aber weil ich zu jung war, um Engländer zu sein, ging das zunächst nicht – man wurde erst mit 21 naturalisiert. Als der Krieg ausbrach, kam ich vor ein Tribunal. Sehr merkwürdig. Man wurde auf einmal als feindlicher alien betrachtet. Mein jüngerer Bruder wurde sogar interniert. Ich nicht, weil ich im Architektenstudio schon für das Kriegsministerium gearbeitet hatte und für Munitionsfabriken Bücher illustriert hatte über Luftschutz und Gasmasken. Als ich dann aber noch direkter aktiv sein wollte, musste ich in eine Militärorganisation eintreten, die Auxiliary Military Pioneer Corps hieß, und in der sich sehr viele Emigranten befanden. Man durfte keine Waffen tragen, hatte aber englische Uniformen und lernte englische Disziplin. Von dort habe ich dann versucht, in die Royal Air Force zu kommen.

Kampfflieger ist ja sozusagen eine klassische Heldendisziplin.

Vielleicht. Aber ich hatte das Fliegen auch irgendwie im Blut. Abgesehen davon war es doch eine Möglichkeit für mich, aktiv gegen die Nazis zu kämpfen, nicht wahr. Was so wenigen von unseren Verwandten möglich gewesen war. Drittens fühlte ich mich auch hundertprozentig als Engländer und wusste, dass man alles tun musste, um den Krieg zu beenden.

Vom Bond-Autor Ian Fleming ist bekannt, dass er seine Zeit bei der Marine als sehr prägend erlebt hat. Sie waren Flieger. Da kamen offenbar Personen zusammen, die einen exponierten Kriegseinsatz als Erfahrung mitbrachten. Hat das unbewusst eine Rolle gespielt?

Ohne Zweifel.

Haben Sie darüber gesprochen?

Nein . . . Auch wenn das bestimmt Einfluss hatte. Natürlich habe ich auch, wenn ich etwas entworfen habe, gesagt, das müsste eigentlich funktionieren, weil man eben diese oder jene Erfahrung als Flieger gemacht hat. Ich habe aber auch immer gern schnelle Autos gefahren. Aber man muss ja nicht nur Talent haben und Glück und die richtige Gelegenheit. Man musste für diese Art Film, für diese Art Dekors, die ich in den Sechzigerjahren gemacht habe, auch sehr viel courage haben. Weil das doch sehr experimentell war und eine unglaubliche Verantwortung. Entweder es funktioniert im Film – und wenn’s nicht funktioniert, dann (lacht) arbeitet man danach nicht mehr. Da steht zu viel Geld dahinter.

Und haben Sie damals die gesuchten Requisiten besorgt?

Nein, aber ich bekam die Möglichkeit, in einem Studio als junior assistant anzufangen. Dann ging es mit meiner Karriere ziemlich schnell vorwärts.

Vor dem ersten Bond hatten Sie schon ungefähr zwanzig Filme ausgestattet.

Auch für den Bond-Produzenten Albert R. Broccoli hatte ich schon an einem anderen Film gearbeitet, der wichtigste vor Bond. Er hieß „Der Prozess“ oder „The trials of Oscar Wilde“. Zwei Jahre nach dem Film haben er und Harry Saltzman mich gefragt, ob ich den ersten Bond-Film entwerfen würde.

Sie gehörten also zur Vintage-Crew, die das, was zur Marke James Bond wurde, gemeinsam entwickelten.

Ja. Ich glaube, Harry Saltzman hatte die Rechte für einen Teil der Fleming-Bücher erworben und ist damit zu Cubby Broccoli gegangen, der damals als US-Produzent ziemlich etabliert war, zusammen mit einem anderen Partner namens Irving Adam. Später kamen Drehbuchautoren aus Amerika wie Dick Maybaum. Erster Regisseur war Terence Young, der sich selbst irgendwie als Bond sah. Im Krieg war er Panzerkommandeur gewesen in den „Irish Guards“. Er hat Sean Connery als Bond erfunden. Sean war ja damals ziemlich primitiv. Ich kannte ihn von früher, wir waren sehr befreundet. Terence hat ihm erst mal die richtigen Anzüge machen lassen und ihm auch das andere beigebracht, die Tisch . . . Wie sagt man?

Die Tischmanieren?

Ja, ja. Er hat ihn geformt. Ich glaube, Sean würde das nie verneinen.

Connery war ein ungeschliffener Diamant.

A rough diamond, ja, absolut.

Zum Bond-Style gehören nicht nur tadellose Manieren und gute Anzüge, sondern natürlich auch die berühmten Gadgets, die Wunderwaffen. In „Dr. No“ gab es noch keine, die kamen erst mit „Goldfinger“ und „From Russia with Love“.

Mit Lotte Lenya, ja. Aber den hab ich nicht gemacht.

Aber danach, wie haben Sie später dafür mit dem Special-Effect-Mann zusammengearbeitet?

Im Allgemeinen habe ich die Designs gemacht, und er hat das realisiert. Wir haben eigentlich immer gute Leute gehabt, wie Johnny S., der leider im vorigen Jahr gestorben ist. Er war ein brillanter Mechaniker. Nachher kam Derek Meddings, der auch nicht mehr lebt, auch brillant, aber schon mehr sophisticated. Er hat schon mit Computern angefangen. Ich hatte, sagen wir mal, die meisten der Ideen und konnte dabei meiner Phantasie freien Lauf lassen und träumen. Aber ich hätte das nie machen können, wenn ich nicht das richtige Team um mich gehabt hätte. Wenn Sie etwa an den Vulkan denken in „You only live twice“ oder in „Goldfinger“ an Fort Knox oder die späteren Filme „The Spy who loved me“ oder „Moonraker“. Das waren ja keine gewöhnlichen Filmsets.

Und wie kam man dann auf die Gadgets?

Das kann ich Ihnen nicht mehr hundertprozentig sagen. Wir waren immer eine democratic debating society. Jeder konnte sagen, was er dachte. Sehr viel Phantasie hatte etwa Harry Saltzman. Er kam ja vom Zirkus ursprünglich. Er war ein richtiger Showman, ein Mann mit vielen Ideen, das hat angesteckt.

Und Young als Regisseur hat sich nicht dagegen gewehrt?

Nein, absolut nicht. Das hat sich so entwickelt von Film zu Film. Das fing mit „From Russia with Love“ an, und bei „Goldfinger“ hab ich das vergrößert, auch die Dekors, die sich verwandelt haben. Das wurde immer wichtiger, auch weil wir keine Originalbücher von Fleming mehr hatten und die Drehbücher sozusagen erfunden wurden.

Wann war das?

Soweit ich mich erinnern kann, war „Man lebt nur zweimal“ die letzte Story von Fleming. Da haben wir festgestellt, dass die Außenmotive, die Fleming erwähnt, in Japan gar nicht existierten. Ich glaube, er ist in seinem ganzen Leben nie in Japan gewesen. Und mir wurde klar, jetzt muss ich was erfinden. Es war reine Glücksache, dass wir bei der Suche nach Locations dann diese Vulkane in Kyucho und Südjapan gefunden haben.

Bei James Bond gibt es die Laser-Rolex, den explodierenden Kugelschreiber, den Messerschuh oder den legendären Aston Martin DBS. Sind die Bond-Filme vielleicht auch ein modernes Märchen über den Kapitalismus, in dem der Besitz der richtigen Statussymbole den Gegner nicht mehr nur symbolisch, sondern höchst faktisch außer Gefecht setzt? Bei Bond wird Style, also die Akkumulation der richtigen Accessoires, zur Waffe.

Das ist eine interessante Theorie. Aber wissen Sie, auch das war eine Konsequenz des Krieges. Fleming war ja seinerzeit in der intelligence, also im Secret Service, wo man diese Gadgets ja hatte.

Ach ja?

Natürlich. Auch wir Jagdflieger bekamen für den Fall, dass man abgeschossen wurde, ein little plastic kit, in dem so Sachen drin waren wie Pillen zum Überleben, ein Kompass, eben ein . . .

. . . ein Survivalkit?

Genau! In diesen Geheimoperationen, wo Agenten mit dem Fallschirm abgesprungen sind, haben die damals alle mit Gadgets gearbeitet.

Mit Abhörgeräten?

Ja, Tonbänder, Radiogeräte, die in anderen Gegenständen versteckt waren.

Für die ganze Ausstattung haben Sie noch experimentiert und gebastelt. Heute ist die digitale Bildgestaltung auf dem Vormarsch. Wird der Setdesigner in Zukunft überflüssig?

Nein. Das ist nur ein neues Handwerkszeug, und als solches sollte es benutzt werden, nicht als Weg, um Filme zu machen. Das Wichtigste bleibt die Story, das Drehbuch. Computergenerierte Bilder sind spannende Neuerfindungen, die einem helfen, vormals schwierige Sachen leichter zu bewältigen. Aber es muss immer jemanden geben, der die künstlerische Vision hat und der die Computer programmiert. Der Fehler, der gemacht wird, ist, dass die Produzenten sagen, wir können alles mit Computern machen – everything. Das stimmt nicht. Wenn Sie Ridley Scotts „Gladiator“ nehmen – ich habe es mit der antiken römischen Architektur nie so gehabt, für mich ist die immer ein bisschen vulgär und kindlich gewesen . . . Also, das Kolosseum hätten wir vor zwanzig Jahren auch machen können, aber es wäre schwieriger gewesen.

Es ändert sich also gar nicht so viel?

Sehen Sie, als erstes sucht man die Außen- oder Innenmotive. Jetzt für Szabó handelt es sich um Berlin im Jahr 1945, und das war ein Trümmerhaufen. Man könnte jetzt natürlich Computer benutzen, aber das ist immer noch sehr teuer. Die meisten Produzenten ziehen es daher vor, es auf einfachere, traditionelle Art zu machen. Nehmen wir Kubricks „2001“: Man ist damals auch ohne die ganze Technik mit dem Film in den Weltraum gegangen, mit Phantasie. Und der Mann, der das alles geschafft hat für Stanley, war einer meiner Special-Effects-Leute.

Wer war das, bitte?

Wally Weavers, ein kleiner dicker Mann, der brillant war und mir immer wieder aus großen Krisen geholfen hat. Wenn wir Probleme hatten, haben wir Wally angerufen und gefragt: „Wally, wie kann man das machen?“ Und er hat geantwortet: „Lass mich überlegen, ich will die Nacht drüber schlafen, dann finde ich eine Lösung.“ Und er kam immer mit einer Lösung. Neunzig Prozent von „2001“ hat er mit Draht und Zahnrädchen und solchen Sachen erreicht.

Die visuelle Intelligenz eines Designers bleibt also unersetzlich.

Absolut. Die Gefahr besteht darin, dass Firmen für Special Effects versuchen, den ganzen Film zu übernehmen. Diese Filme sind dann im allgemeinen keine Filme, die mir gefallen. Weil die eben nur visual effects zur Schau stellen, mit Explosionen und Erdbeben. Im Fall von Ridley Scott verhält es sich so, dass der selbst auch Designer ist. Da hat er also beides miteinander verbunden. Das gibt es natürlich auch: Regisseure, die ihre Storyboards selbst gemacht haben. Fellini zum Beispiel. Den kannte ich übrigens auch sehr gut.

Haben Sie mit ihm gearbeitet?

Nein. Er wollte immer. Aber alle unsere gemeinsamen Freunde haben gesagt, tu das nicht. Weil Fellini immer auch ein komplettes Konzept hatte, wie er den Film sieht. Der Designer hatte da nicht viele Möglichkeiten.

Wo hatten Sie die größte Freiheit?

Ohne Zweifel bei den Bond-Filmen. Leider war es nicht immer dasselbe Team. Den letzten Film haben wir etwa in Frankreich gedreht, in Paris. Da musste man ein ganz neues Team zusammenbringen. Das war natürlich schwierig. Trotzdem finde ich, dass Film eine Universalsprache ist. Ob ich in China arbeite oder in Deutschland, wie ich hoffe, jetzt bald, oder in Paris oder in Rom, man spricht dieselbe Sprache.

Was ist die wichtigste Qualität, wenn man beim Film arbeitet?

Wie ich schon gesagt habe, Film ist meiner Ansicht nach die wichtigste Kunstform, die es heute gibt, und jeder, der etwas dazu beitragen will, muss natürlich Talent haben. Ob das nun literarisches Talent ist für die Drehbücher oder visuelles für das, was die camera sieht. Irgendwo kommt alles zusammen. Der Film nimmt quasi alle Künste in Anspruch.

Wie machen Sie das, wenn Sie mit einem neuen Film anfangen?

Das erste ist, dass man das Drehbuch liest. Dann hat man ein Meeting mit dem Regisseur, der ja der Käpt’n des Schiffes ist, und findet heraus, wie er den Film sieht. Dann diskutiert man darüber, und dann versucht man, das ins Visuelle zu übersetzen. Man fängt ganz einfach an zu funktionieren.

Haben Sie dafür eine bestimmte Technik?

Nein. Man hat für jeden Film ja Zeit für Recherche. Das hoffe ich jetzt für das Szabó-Projekt auch. Ich war ja 1945 in Berlin, aber nur für zwei Tage. Dabei erinnere ich mich vor allem an einen Riesentrümmerhaufen und an die Trümmerfrauen, die die Ziegelsteine saubergeklopft haben, und an Ruinen. Aber das Leben ging weiter, irgendwie. Trotzdem war das damals schwierig für mich aus verschiedenen Gründen.

Wegen Ihrer Kindheitserinnerungen?

Nein, nein. Weil ich inoffiziell da war. Ich hatte keine Erlaubnis von der RAF. Aber die kannten meinen Hintergrund, und da hat mein Kommandeur zu mir gesagt: „Ken, wenn du da hingehen willst, kannst du einen Jeep nehmen, und ich weiß davon nichts.“ Was damals sehr gefährlich war. Ich habe zu der Zeit verschiedene Abenteuer erlebt, über die ich jetzt hier nicht reden kann.

Also dann zu Ihrer Arbeit. Ihre Skizzen haben sehr oft eine geradezu hypnotische Raumwirkung, wie machen Sie das?

Einesteils intuitiv, zum anderen Teil ist es natürlich Technik. (Nachdenkliche Pause) Aber was dahinter steht, ist dies: Ich versuche immer, das Drehbuch zu dramatisieren. Es kommt natürlich auch auf den Film an. Die Bond-Produktionen sind ja kein typisches Beispiel. Am Schluss hatten wir ja nicht einmal mehr Drehbücher, sondern haben uns mehr und mehr auf die grandiosen Dekore, die Gadgets und die Außenmotive verlassen.

Wie kam es zu dem neuen Projekt mit István Szabó?

Das weiß ich, um ehrlich zu sein, nicht genau. Ich bekam einen Anruf von Reinhard Schaper, das ist ein früherer Szenenbildner, der jetzt die Babelsberg Studios macht, ob ich interessiert wäre, ein Filmprojekt zu machen. Er hat mir dann das Skript geschickt. Das Theaterstück hatte ich schon gesehen, und es hat mir sehr gut gefallen. Es hat mit der Hitlerzeit in Deutschland zu tun, ist aber auf alle Diktaturen übertragbar, Jugoslawien, Bosnien und so weiter. Es geht um Verantwortung: Wie kann man sich als Künstler verhalten in einem politischen Holocaust? Dann haben wir uns in Berlin getroffen und fünf Tage darüber geredet. Das Projekt ist aber noch nicht hundertprozentig sicher.

Und wie kam es zur Teilnahme an den „Sieben Hügeln“?

Herr Sievernich von den Berliner Festspielen kam nach Hollywood, als ich dort an einem Film arbeitete, und hat mich gefragt, ob ich für diese Ausstellung etwas entwerfen würde.

Warum hat er gerade Sie angesprochen?

Er wollte ein neues visuelles Konzept verwirklichen. Dabei bestand die Schwierigkeit darin, dass im 20. Jahrhundert alle Erfindungen irgendwie groß und visuell eindrucksvoll waren, ob das nun das Flugzeug war oder das Auto. Auch die Computer waren enorm. Aber jetzt auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert ist alles minimalized. Momentan sind die Zeitungen voll mit der Genomentschlüsselung. Daher war es eine große Herausforderung für mich, diese wissenschaftlichen Inhalte visuell so darzustellen, dass das Publikum sofort einen Eindruck hat. Ich glaube, auf dieser Ebene hat es wirklich gut funktioniert.

Bei welchem Film hat Sie Herr Sievernich damals angesprochen?

Bei „The Out-of-Towners“ mit Goldie Hawn und Steve Martin. Der Produzent und der Regisseur haben damals nach sechs Wochen den Film verlassen. Da ich den Film aber nur wegen des Produzenten gemacht habe, war das not a very happy experience.

Verstehe. Kommt so etwas im Film öfter vor? Gibt es etwas, das Sie an diesem Business von Herzen hassen?

Oh, ich hab’s nicht gehasst – überhaupt nicht. Sie werden zu einem Teil dieser ganzen Industrie. Und weil ich schon 53 Jahre in ihr arbeite, ist sie zu meiner Welt geworden.

Hatten Sie mal Angst, dass Ihnen die Ideen ausgehen könnten?

Auf die eine oder andere Art kommt bei jedem Film eine Angstkrise. That’s part of it. Aber wenn man das nicht mehr hat (lacht), dann soll man nicht arbeiten.

Gab es mal eine echte Katastrophe?

In jedem Film gibt es das, in manchen mehr, in anderen weniger. Ich habe an achtzig Filmen gearbeitet, und da gab es immer Krisen und Katastrophen.

Etwa die Rettung aus der Not bei „You only live twice“?

Ach, wissen Sie, man muss in diesem Business auch Fatalist sein. So vieles ist tatsächlich Glücksache. Die Verantwortung für den Film war allerdings so enorm, weil sich die Produzenten bereits festgelegt hatten, wann der Film rauskommt, und zwar in viertausend Kinos. Und wir hatten nichts. Da war es ein Riesenglück, dass man im letzten Moment diese volcanos gefunden hat.

Dann kam Broccolis berühmte Frage, ob Sie dieses Set für eine Million Dollar machen können.

Ich hab natürlich ja gesagt, weil eine Million Dollar um 1965 oder 1966 wirklich viel Geld war.Wenn ich das für dieses Geld nicht hätte machen können, dann hätte ich mir einen anderen Beruf suchen müssen.

Und Sie haben’s am Ende geschafft?

Für ein bisschen mehr, glaube ich.

Und als dann am Schluss alles in die Luft gejagt wurde, da sind Sie ganz cool geblieben, weil Sie das Ganze irgendwann auch wieder loswerden wollten.

Na ja – loswerden, nachdem es gut gefilmt worden war.

Gibt es ein Traumprojekt in Ihrem Leben?

Ich hätte gerne „White Hotel“ gemacht, ein Buch von D. N. Thomas, einem englischen Schriftsteller, das vor zwölf Jahren ein Bestseller war. Vor zwei Jahren haben zwei Produzenten aus New York versucht, den Film zu lancieren. Das hätte mir sehr gelegen. Da ging es auch um Berlin zwischen den zwei Kriegen, eine sehr dramatische Geschichte. Aber man fand keinen Regisseur. Sie haben angefangen mit Kusturica, aber dann hat es nicht geklappt. Heutzutage interessiert mich wirklich nur, an einem Film zu arbeiten, der ein interessantes Drehbuch hat. Riesenhafte visual-effects-Filme? Im Grunde genommen interessiert mich das nicht mehr.

Haben Sie so etwas wie ein persönliches Vorbild?

Vielleicht vor zwanzig Jahren. (Nachdenklich) Im Moment wäre das vielleicht Daniel Libeskind und Frank Gehry und Richard Meier. Das sind Architekten, die mir gefallen.

Haben Sie das neue Popmusikmuseum gesehen, das Gehry gebaut hat? Das könnte auch aus einem Ihrer Sets stammen.

(Lacht) Na, vielleicht nicht ganz.

Es fällt aber auf, dass prominente Architektur der Gegenwart zum Teil stark theatralische und objekthafte Züge entfaltet. Ist das möglicherweise ein Trend?

Hm, irgendwie schon. Also, ich stelle fest, dass man wegkommt von den Disziplinen, die Architektur im Allgemeinen doch verlangt, und dass man mehr träumt. Wir haben in der Ausstellung in Berlin – im Bereich „Zivilisation“, glaube ich – Sachen von Lebbeus Woods gesehen, der doch noch nie etwas gebaut hat. Seine Entwürfe sind absolut Science-Fiction. Mir liegen sie nicht so sehr, weil: Sie sind so way out. Aber in Amerika ist er ein echter Guru an den Universitäten.

Ähnlich wie Zaha Hadid.

Ja. Ich war gerade kürzlich mit ihr zusammen. Sie hat das Zelt entworfen zur Jubiläums-Party von „Serpentine Gallery“. Sie hat sehr viel Talent.

Ich denke mir, dass Architekten und Designer Ihre futuristischen Szenenbilder aus „Strangelove“ oder „Moonraker“ immer auch als Blueprint einer möglichen Zukunftsarchitektur gelesen haben.

Schon möglich. Ich meine, es ist schwer für mich, das zu beantworten. Deswegen habe ich ja auch Zeichnungen gezeigt, die ich in den Siebzigerjahren gemacht habe für Projekte, die dann gar nicht verfilmt wurden, die aber trotzdem meine Ideen von damals zeigen. Und zur „Serpentine Gallery“ kamen in der Tat eine Menge bekannter Architekten. Wobei mir dann dasselbe gesagt wurde, was Sie jetzt sagen: Dass ich sie sehr beeinflusst hätte.

NIKE BREYER, 44, lebt als freie Autorin in München. Ken Adams Installation im Rahmen der Berliner Ausstellung „Sieben Hügel“ ist noch bis zum 29. Oktober im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchner Straße 7, zu sehen