Ohne Schule, ohne Chance

Ein Drittel der ausländischen Jugendlichen hat keinen Schulabschluss. Vor allem türkische Schüler sind damit die Bildungsverlierer in Berlin. Beginn einer taz-Serie zu Bildung und Migration

von JULIA NAUMANN

Auch im neuen Schuljahr werden Migrantenkinder die Bildungsverlierer sein. Zwar hat Schulsenator Klaus Böger mehrfach auf die Notwendigkeit besserer Sprachkenntisse hingewiesen. Doch mit Förderkursen und einigen Modellversuchen lässt sich das Problem nicht beheben, wie Kritiker betonen. Sie weisen darauf hin, dass nur eine konsequente interkulturelle Erziehung vom Kindergarten an die Perspektiven von Kindern nichtdeutscher Muttersprache verbessern kann.

Dass Schulerfolg in Berlin noch immer ein Privileg der Deutschen ist, belegen die neuesten Zahlen. Im Schuljahr 1998/1999 haben nach Angaben der Schulverwaltung 26,2 Prozent der Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache überhaupt keinen Schulabschluss gemacht. Rechnet man noch die Jugendlichen dazu, die Förderklassen oder Eingliederungsgänge besuchen, sind es fast 32 Prozent. Dagegen verlassen nur knapp 12 Prozent der Deutschen die Schule ohne jeden Abschluss.

Von den Anforderungen der „Wissengesellschaft“, den Versprechen von Erfolg und Karriere in der New Economy sind die Migrantenjugendlichen damit weit entfernt. Selbst für einen Ausbildungsplatz braucht man heute nicht selten mittlere Reife oder Abitur. Doch nur etwa ein Drittel der Migrantenkinder hat einen solchen Abschluss in der Tasche. Die Hochschulreife machen gerade mal 10 Prozent.

Ganz besonders betroffen sind türkische Jungen. Nur 6 Prozent von ihnen haben Abitur, bei den Mädchen sind es immerhin 10 Prozent. 33 Prozent dagegen haben gar keinen Abschluss, bei den Mädchen sind es 21 Prozent. In einem Papier für einen Kongress, der im Oktober in Berlin stattfindet, vermuten Berliner Schulpsychologen, dass das überproportionale Schulversagen insbesondere an der geschlechtsrollenspezifischen Erziehung liege.

So sei das Selbstbild ausländischer Jungen stärker von einer dominanten Männlichkeitsrolle geprägt, aus der sie eine „Vorherrschaft herleiten, die nicht auf Anstrengung, Leistung und Erfolg“ beruhe. Schulische Misserfolge werden deshalb schlechter verarbeitet und oft durch Aggressivität kompensiert. Die Schulpsychologen befürchten eine „Bildungskatastrophe“, die von Politikern entweder nicht gesehen oder aber mit „stereotypen Hinweisen auf das fehlende Geld“ beantwortet wird.

Ins gleiche Horn stößt Ulrich Pfeiffer, Leiter des Forschungsinstituts Empirica: „Dass es in Berlin eine solch hohe Zahl an Migranten ohne Schulabschluss gibt, ist einer der größten Skandale in dieser Stadt. Die Bildungspolitik hätte schon längst eine Antwort darauf finden müssen, dass das Elternhaus als motivierende Instanz der Schüler nicht mehr die Rolle spielt wie früher“.

Tatsächlich reduziert die Schulverwaltung die Bildungskatastrophe von Migrantenkindern vor allem auf die Sprachprobleme. Doch selbst in diesem Bereich, hat die stellvertretende Vorsitzende der GEW, Sanem Kleff, ausgerechnet, sind die Fördermittel in den vergangenen Jahren kontinierlich gekürzt worden. Es dürfe nicht nur um Sprachförderung gehen, warnt sie. Diese verpuffe in einem „luftleeren Raum“, wenn interkulturelle Erziehung nicht durchgängiger Bestandteil in Kitas und Schulen werde.

Diese ist jedoch, wie Kleff moniert, nach wie vor nicht in den Lehrplänen verankert. Es gebe lediglich unverbindliche Anweisungen für die LehrerInnen. Positiv sei zu vermerken, dass in den Koalitionsvereinbarungen vermerkt wurde, dass Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache besonders zu fördern seien. „Die Ressourcen müssen aber für ein Gesamtkonzept und nicht mehr punktuell verwendet werden“, krtisiert Kleff.

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