Genialischer Missmut

„Der gute Kampf gegen die Britneys dieser Welt“: Die „Smashing Pumpkins“ nehmen Abschied in der Sporthalle  ■ Von Volker Peschel

Es muss grauenerregend gewesen sein für die empfindsame Seele von Billy Corgan, dem glatzköpfigen Mastermind der Smashing Pumpkins, sollte er den diesjährigen „MTV Video Music Award“ verfolgt haben. Da standen sie nun alle in vermeintlicher Eintracht und grinsten ob des Erfolges, den sie sich selber wohl kaum erklären können: Christina Aguilera, Jennifer Lopez, N'Sync und allen voran Britney Spears. „Wir sind es leid, in der heutigen Kulturszene den guten Kampf gegen all die Britneys dieser Welt zu führen“, mäkelte Corgan herum, als er am 23. Mai die Trennung der Smashing Pumpkins verkündete: „Wir sind am Ende unserer Straße angekommen: emotional, geistig und musikalisch.“

Das stand intern schon fest, als die Arbeiten am aktuellen Album Machina: The Machines of God begannen, doch man hielt die Nachricht zurück, aus Angst, sie könne dessen Veröffentlichung überschatten – zu oft hatten die Band oder Corgan mit realen oder inszenierten Skandalen im Lichte der verhassten Pop-Öffentlichkeit gestanden. Neuester Scoop: Das Video zur neuen Single „Try Try Try“, das die Musiksender auf die späten Abendstunden verbannten. Der Clip zeigt ein junges Pärchen, das auf der Straße lebt. Beide sind heroinabhängig, er klaut, sie prostituiert sich. Auf der Toilette setzen sie sich einen Druck, kochen das Klowasser auf, sie bekommt eine Überdosis. Rückblenden zeigen sie als Teenie in einer American-Dream-Vorstadt-Idylle (den „directors cut“ dazu gibt es unter www.smashingpumkins.com).

„Ich kannte Menschen, die so gelebt haben“, rechtfertigt der 33-jährige Corgan den „Skandal“. The drugs don't work. Auf dem Höhepunkt des Erfolges, 1996, starb Tour-Keyboarder Jonathan Melvoin in New York an einer Überdosis Heroin, Drummer Jimmy Chamberlin wurde wegen Drogenbesitzes festgenommen und gefeuert. Melvoins Witwe verklagte später die Band, Querelen mit Plattenfirma und Management folgten. Ende letzten Jahres verabschiedete sich Bassistin D'Arcy Wretzky, um in Los Angeles zu schauspielern – und ein paar Monate später mit Crack verhaftet zu werden. Sie genoss das staatliche Entzugsprogramm, und auch Kollege Chamberlin kehrte hinter die Drums zurück, musikalisch ein großer Gewinn, klangen die Pumpkins doch während seiner Abwesenheit müde. Und Bass spielt inzwischen Ex-Hole-Lady Melissa Auf Der Maur.

Das Jahr 2000: „You know I'm not dead!“, schreit Corgan zu Beginn von Machina heraus. Frust über mangelnden kommerziellen Erfolg? Seit ihrem letzten Album Adore – einem Flirt mit elektronischen Klängen – mussten sich die verwöhnten Chicagoer an den Gedanken gewöhnen, mehr von Kritikern als von der breiten Öffentlichkeit geliebt zu werden. Die greift bekanntlich zu Britney. Missmut bei Billy Corgan, der sich auf dem Zenit seines künstlerischen Schaffens wähnt und den schleichenden kommerziellen Niedergang mitansehen muss.

Wie dem auch sei, den Abschied kosten die Smashing Pumpkins voll aus. Derzeit werkeln sie noch an der Komplettierung ihrer musikalischen Hinterlassenschaft herum: Die Welt-Tournee geht noch bis Ende des Jahres, verschiedene Auftritte werden mitgeschnitten. Im Februar war die Band auf Autogramm-Reisen, für VH-1 wurde im August eine Folge von „Storytellers“ eingespielt. Weiteres Material, das nicht auf Machina endete, wurde zu Beginn der Woche veröffentlicht, jedoch nicht, wie anfangs verkündet, als Bonbon-Longplayer zum traurigen Abschied, sondern als 25-Kopien Vinyl, das an treue Fans versandt wurde. Nicht ganz so erlesene Fans können Machina II: Friends & Enemies of Modern Music herunterladen (www.spifc.org).

Und nach dem Ende? Corgan und Gitarrist James Iha suchen Ruhe abseits des Rock'n'Roll, sagen sie, nehmen jedoch kräftig weiter auf. Iha wird seine Solo-Pfade weiter austreten, Corgan schreibt für Lisa Marie Presley. Jimmy Chamberlin will wieder Autorennen fahren, D'Arcy nimmt Schauspiel-Stunden und Melissa kann vielleicht auf Hole-Chefin Courtney Love hoffen.

Kein Grund, sich Sorgen zu machen. Um mit Maestro Billy Corgan zu enden: „It will be nice to let the music be now.“

heute, 20 Uhr, Sporthalle