Zunge zeigen mit Kiss

Die Ausstellung „Intelligence“ setzt in der Londoner Tate Britain Gallery auf klassische Bildungsideale und klammert den Humor aus. Mehr Spaß am Erzählen findet sich auf der British Art Show 5 in Cardiff

von MAGDALENA KRÖNER

Die Kuratoren Virginia Button und Charles Esche drücken es im Katalog ganz profan aus: „Es heißt, die Engländer hätten ein Problem mit Intelligenz.“ Nun soll die von ihnen zusammengestellte, neue Triennale der Tate Britain das Gegenteil beweisen: Hier wird auf die Intelligenz als zentrales Agens einer immer komplexeren Welt gesetzt.

Button und Esche haben sich für eine Kunst entschieden, die – ganz klassisches Bildungsideal – aufklären, läutern, die Welt verdichten und sie übersetzen will. Auch die Intelligenz des Betrachters soll dabei geschult werden, der anhand der Ausstellung, die ausschließlich auf etablierte Namen setzt, ein kritischeres Auge entwickeln kann, um sich schließlich auf einer Ebene zum Dialog mit dem Künstler zu treffen. Nicht zuletzt geht es den Kuratoren natürlich auch darum, Abschied von der Art des Spektakels zu nehmen, das seit der „Sensation“-Schau in der Londoner Royal Academy 1997 zum Synonym für britische Kunst geworden ist.

Der humorfreie Appell an den Intellekt erweist sich als prägendes Charakteristikum von Beginn an: Julian Opies vinylglatte Bilder seien, bitte schön, als Allegorie auf klassische Bildthemen zu lesen und als Test fürs eigene Rezeptionsverhalten. Nebenbei gelte es, die „dunkle Seite“ des grellbunten Opie zu entdecken. Das Touch-and-feel-Werk Liam Gillicks, der statt bunter Plexi-Paneele einmal alles in Aluminium gestaltet hat, zeugt von der Oberflächenbesessenheit dieser in jedem Moment intellektuell verbrämten Kunst. Die gesichtslosen Flächen sollen die Teilhabe am Kunstprozess exemplifizieren, in den sich der Besucher per Fingerabdruck einschreiben mag. Oder auch nicht. Wäre nicht Patrick Brills ironische Aufforderung, für das fiktive Paar Bob und Roberta Smith neue Worte zu finden – der Humorverlust wäre kaum zu ertragen.

Für das Konzept des „Anderen“, das zurzeit wohl in keiner Ausstellung fehlen darf, steht der unvermeidliche Yinka Shonibare. Er erweitert sein Konzept der Verdichtung des Lokalen im emblematisch gesetzten Zeichen – hier den als „typisch afrikanisch“ geltenden Festtagsstoffen – im Symbol einer Astronautenfamilie. Der „Andere“ der Kultur als Außerirdischer – längst hat man dazu intelligentere Konzepte gesehen, die statt auf Kompatibilität auf Differenzierung des Begriffs setzen.

Ein tatsächlich neues Element, das auf ein parallel zum Kunstmarkt existierendes „Anderes“ verweist, ist das Konzept der Outsider Art, die von Jeremy Deller und Alan Kane gezeigt wird. Das „Folk Archive“, das die beiden Londoner Künstler im vergangenen Jahr als Work in Progress gegründet haben, zeigt sich als buntes Sammelsurium aus Fotografien von Volksfesten, privaten Vergnügungen oder den Insignien von Fan-Aktivitäten. Deller und Kane dokumentieren ästhetische Praktiken des mehr oder minder Privaten, das ästhetische Formen findet, die gänzlich ohne Kunstanspruch auskommen. Die Einführung in den musealen Kontext übersteht diese Kunst ohne Einbuße ihrer Authentizität. Das Bild der herausgestreckten Zunge von Kiss-Frontmann Gene Simmons war lange nicht mehr so aktuell wie in diesem Zusammenhang.

Es gibt allerdings auch seltene Momente, in denen sich die Kunst Zeit nimmt, einmal Luft zu holen, und ein bisschen abschweift. So etwa in den surreal-schönen Wortcollagen aus 225 zufällig arrangierten Buchtiteln, denen Bridgid Lowe den nur scheinbar bedeutungsschwangeren Namen „I Saw Two Englands Breakaway“ gab. Oder in der Rauminstallation „Witness 2000“, für die Susan Hiller die endlosen Ströme der Worte im World Wide Web belauscht hat.

Auf der Suche nach Welthaltigkeit, die bei „Intelligence“ zur designten Behauptung verkommt, sollte man aus London heraus ins Land fahren und die British Art Show 5 besuchen. Diese Old-School-Veranstaltung, 1979 ins Leben gerufen, um dem Londoner Zentralismus etwas entgegenzusetzen, tourt schon seit über zwanzig Jahren durchs Land und zeigt alle fünf Jahre einen Querschnitt der wichtigsten Tendenzen – als Indikator für die Kunst der ganzen Nation, nicht nur ihrer hippen Kapitale.

Die Kuratoren Pippa Coles, Matthew Higgs und Jacqui Poncelet haben 57 Künstler aus allen Teilen des Landes ausgewählt. Dass nur bei knapp der Hälfte Einstimmigkeit im Kuratorenteam herrschte, mag für die Diversifizierung der britischen Gegenwartskunst sprechen.

Die Positionen überraschen durch eine ausgesprochene Lust am Narrativen: kleine, private, skurrile Momente, aber auch Reverenzen an Poesie und Politik. Sie kommen als leichtfüßige Gags daher, wie bei David Shrigleys skurrilen Püppchen, oder geben mit Keith Tysons „Magic Items“ dem Betrachter Instrumente für wirksame Verwünschungen im Alltag an die Hand.

Der Großteil der ausgestellten Werke zeugt von einer konkreten diskursiven Einbettung, die bei „Intelligence“ nahezu vollständig ausgeblendet wird. So definiert sich jede Reflexion kultureller Phänomene stets im Verhältnis zu den sie umgebenden Kontexten. In diesem Zusammenhang erschließt sich auch der Verweis der Kuratoren auf die Orientierung an der documenta X und damit letztlich an Konzepten der 70er-Jahre. Nur dass das Politische heute meist subjektiv geprägt ist, bis auf einige gelungene Ausnahmen. Dazu zählen etwa der ironische Kommentar zu Konsum und Recycling in Michael Landys „Consuming Paradox“ oder in der ansonsten raren Nordirlandproblematik, wie bei Conor McFeely, der mit Baseballschlägern und Decken, die mit Teerschlieren überzogen sind, Werkzeuge einer brutalen Praxis installiert.

Daneben steht der Wunsch des Anknüpfens an romantische Erzählmuster, der vergeblich bleiben muss – etwa in Rachel Lowes Video „A Letter to an Unknown Person“, in dem sie versucht, die flüchtigen Bilder, die während einer Zugfahrt an ihr vorbeiziehen, mit einem Filzstift auf der Fensterscheibe festzuhalten. Chad McCail schließlich löst all die mehr oder weniger intelligenten Überlegungen zur Welt im Phantasma auf. In einem nur vordergründig naiv anmutenden Bilderreigen entwirft er Visionen einer gesellschaftlichen Utopie, in der die Menschheit von Gewalt und Gier ablässt, und, nach ein paar entspannten Orgasmen, im Paradies landet.

„Intelligence“, bis 24. 9. Tate Britain, London; Katalog 14,99 £. „British Art Show 5“, bis 9. 11., Cardiff, danach 25. 11. bis 28. 1. 2001 Birmingham, Katalog 15 £. Infos unter: www.britartshow.org.uk