Kein Ersatz für Politik

Nicht erst seit dem Ende des unrühmlichen Kosovokrieges halten viele Kommentatoren Prävention für das Allheilmittel schlechthin gegen Gewalt. Davor ist zu warnen

Die wirksamste Strategie gegen den Krieg ist, zu verhindern, dass er ausbricht. Friedenspolitik, die diesen Namen auch verdient, muss an den Wurzeln der Gewalt ansetzen. Das tut auf ihre Weise seit Jahr und Tag die Friedensforschung. Die Analyse struktureller Kriegsursachen gehört zu ihren Kernaufgaben wie auch die Ausarbeitung Erfolg versprechender Gegenkonzepte von der Politik nachhaltiger Entwicklung über die Vervollkommnung des Völkerrechts bis zur Rüstungskontrolle. Aber aller Dringlichkeit zum Trotz, zählt die langfristige Kriegsverhütung zu den eher spröden Forschungsthemen, auf die sich die Scheinwerfer öffentlichen Interesses selten richten.

Ganz anders, wenn es um Schauplätze geht, an denen der Frieden bereits zerbrochen ist und Waffen den Ton angeben. Vom Golf über den Kaukasus bis zum Balkan boten die zurückliegenden zehn Jahre reichlich Anlass, den Ursprüngen kriegerischer Gewalt nachzuspüren. Dabei wiederholte sich eine alte Erfahrung: Studien, die sich mit den Scherbenhaufen verfehlter Konfliktvorsorge befassen müssen, lassen die politische Aufmerksamkeit augenblicklich in die Höhe schnellen. Offenbar findet die Friedensforschung dann am leichtesten das Ohr der Regierenden, wenn diese ihre Vorschläge gerade folgenreich in den Wind geschlagen haben.

Wie sonst wäre zu erklären, dass die bisher einzige Initiative eines breiten internationalen Programms gegen Gewalt erzeugende Missstände mitten im Krieg entstand? Die Idee des Stabilitätspakts für Südosteuropa entsprang dem Zweifel, ob die Nato den Kampf um das Kosovo mit Bomben und Raketen gewinnen würde. Der Kontrast zwischen diesen beiden Vorgehensweisen könnte nicht schärfer sein. Die Nato wählte das stärkste aller Eingriffsmittel: das Militärische. Und je mehr der erhoffte Erfolg auf sich warten ließ, desto intensiver wurde bombardiert.

Dagegen setzt der Balkan-Stabilitätspakt seine konstruktive Antwort. Eingeladen sind alle Staaten der Region. Sie werden ermuntert, ihre Spannungen untereinander durch Verständigung und Zusammenarbeit abzubauen. Hilfe zur Überwindung wirtschaftlicher Rückständigkeit bieten den Anreiz dazu. Damit verbunden ist die Verpflichtung zu rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungen, die den Schutz ethnischer Minderheiten einschließt, um nationalistischer Militanz – der Gewaltursache Nummer eins – den Boden zu entziehen. Anders als bei der militärischen Intervention soll also der Friedensbruch nicht mit Gegengewalt geahndet, sondern durch vorbeugendes Handeln abgewendet werden. Prävention statt Intervention heißt die Devise. Sie erfreut sich wachsender Popularität. Viele Kommentatoren, so scheint es, halten sie für das Allheilmittel schlechthin. Davor ist zu warnen.

Als die Nato ihre Bomberflotte gegen Belgrad in Marsch setzte, traf sie nicht nur eine moralisch zweifelhafte und völkerrechtlich fragwürdige, sondern auch eine politisch falsche Entscheidung. Schon damals hatten Beobachter vorhergesagt, dass die Luftschläge in einem Debakel enden würden. Die Gewalt hat nicht aufgehört im Kosovo. Von Frieden kann keine Rede sein. Nicht einmal so etwas wie Stabilität ist eingekehrt. Würden heute KFOR und Unmik, die internationale Besatzungsmacht, abgezogen, die Provinz stünde morgen wieder in Flammen.

Doch welche andere Option bot sich denn noch an jenem 24. März 1999? Hätte Brüssel statt des Einsatzbefehls den Balkan-Stabilitätspakt verkünden sollen? Zu Recht wäre darin eine Geste der Hilflosigkeit gesehen worden. Sie hätte weder auf die Belgrader Machthaber noch auf die UČK-Kommandeure Eindruck gemacht. Das blutige Treiben wäre weitergegangen. Was folgt daraus für den Leistungsvergleich zwischen Prävention und Intervention? Prävention ist die überlegene Alternative, die ein militärisches Intervenieren erübrigt, beteuern die einen. Es sind gleichwertige Methoden, die einander ergänzen, versichern die anderen. Die Kosovo-Erfahrung belehrt eines Besseren: In bestimmten Konfliktsituationen taugen sie beide nicht.

Natürlich liegen die prinzipiellen Vorzüge einer planvollen politischen Krisenprävention auf der Hand. Schon im Kostenvergleich schneidet sie günstiger ab. Sie wendet die milderen Mittel an und vermeidet den Vorwurf der Inhumanität, den eine militärische Intervention verdient, die auch gegen zivile Ziele vorgeht. Selbst wenn präventive Konfliktpolitik in ihrem wichtigsten Vorhaben – den Ausbruch von Kampfhandlungen zu verhindern – scheitert, so vermehrt sie doch zumindet nicht noch den Schaden, richtet selbst keine Zerstörungen an und fordert keine zusätzlichen Opfer.

Andererseits stehen den offenkundigen Vorteilen auch ernsthafte Schwächen gegenüber. Strukturelle Kriegsursachen zu beseitigen ist eine Aufgabe von Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Prävention verspricht keine schnellen Erfolge. Auf langfristige Wirkung angelegt, richtet sie dort nichts aus, wo es schon lichterloh brennt.

Um genau diesen Fall handelte es sich im Kosovo: Ein von den europäischen Regierungen notorisch verdrängter Konflikt trat in seine heiße Phase. Vom Aufschaukeln des innerstaatlichen in einen internationalen Krieg jedoch war man immer noch weit entfernt: Volle zwölf Monate standen zur Verfügung, um die Waffen zum Schweigen zu bringen und eine umfassende politische Konfliktregelung herbeizuführen – mehr als genug für zielbewusstes Krisenmanagement.

Doch je vollständiger die Abläufe bekannt werden und je freimütiger die Beteiligen von damals ihr Detailwissen preisgeben, desto klarer wird, warum die Zeitspanne ungenutzt verstrich. Den maßgeblichen Krisenmanagern ging es weder um eine friedliche Disziplinierung beider Konfliktseiten, noch um die Durchsetzung eines beiden Seiten zumutbaren Kompromisses. Vielmehr ging es um die Unterstützung des einen Kontrahenten gegen den anderen, und es ging um die Statuierung eines Exempels. In diesem Licht war der Entschluss zum Kosovokrieg alles andere als eine alternativlose Entscheidung.

Prävention oder Intervention? Die Debatte trägt höchst akademische Züge. Beide Alternativen sind kein Ersatz für Politik. Sie machen das gute alte Krisenmanagement nicht überflüssig. Aber vom internationalen Umfeld eines gewaltträchtigen Konflikts können dämpfende oder anheizende Impulse ausgehen. Über die verpassten Gelegenheiten lässt sich dann nachträglich streiten. Vier Balkankriege in einem Jahrzehnt liefern Anschauungsmaterial in Fülle.

Seit Monaten lokalisieren die Regionalkorrespondenten Montenegro als wahrscheinlichsten Austragungsort des fünften, und wieder geschieht nichts, um das heraufziehende Verhängnis abzuwenden. Erneut sucht sich eine Teilrepublik aus dem jugoslawischen Staat zu lösen. Der Westen honoriert das Bemühen mit Wirtschaftshilfe, mit einer eigenen Währung und mit militärischer Aufrüstung. Um einen Waffengang zu verhüten, ist das vermutlich zu wenig – wenn es denn darum überhaupt noch geht. REINHARD MUTZ

Hinweise:Kosovo zeigt: In bestimmten Situationen taugen weder Prävention noch Intervention zur KonfliktlösungPrävention ist auf langfristige Wirkung angelegt. Wo es schon lichterloh brennt, richtet sie nichts aus