nebensachen aus brüssel
: Der Würgegriff der Brummifahrer, die das EU-Parlament blockierten, ging an die eigene Kehle

Euro-City ohne Autos? Das wäre eigentlich eine ganz prima Idee, fanden plötzlich viele

Offiziell erholt sich Europas Hauptstadt derzeit vom Belagerungszustand. Fast eine Woche lang hatten die Brummis Brüssel im Würgegriff und zwangen 300.000 Pendler, sich einen neuen Weg zur Arbeit auszudenken. Den gab es zur allgemeinen Überraschung: Die Metro setzte mehr Wagen ein und rollte reibungslos wie nie. Offiziell sind nun alle erleichtert, dass der Alltag wieder eingekehrt ist: Die täglichen Staus zeigen ja wohl, dass Brüssel eine echte Metropole ist. Auch die Architekten, die das charmante verwinkelte Leopoldsviertel abreißen ließen und dafür zwei mehrspurige Verkehrsachsen ins Häusermeer schlugen, wollten nur das Beste für die Stadt und ihre Bewohner! Schließlich sind Rue de la Loi und Rue Belliard Brüssels Visitenkarte und jeder Besucher staunt über die Manhattan-Kulisse.

Vergangene Woche allerdings war die Rue Belliard keine Visitenkarte mehr für Euro-City. Zwei Schwerlaster hatten sich kurz vor der Zufahrt zum Europaparlament quer gestellt. Auf den Ladeflächen saßen entschlossen dreinblickende Brummifahrer. Auch zum Schumann-Platz, wo die EU-Kommission sitzt, waren die Zufahrtswege versperrt. Euro-City reagierte auf den Rückfall ins gemütliche Kleinstadtleben erstaunlich gelassen, vielerorts gar sichtlich vergnügt.

Die gestressten City-Arbeiter schalteten flugs auf mediterrane Gangart um. Stühle wurden auf sonst unpassierbare Straßen gestellt, Gespräche kamen an Kreuzungen in Gang, wo sonst Verkehrslärm jedes Wort unmöglich macht. Nicht einmal das Dauerhupen eines Blockierers auf der Rue de la Loi, das wie ein Nebelhorn durchs Viertel dröhnte, konnte der Stimmung etwas anhaben. Auf der Rue Belliard an der Zufahrt zum Parlament legte eine Frau mit einem der Blockierer eine kesse Sohle auf die Fahrbahn.

Wer im Europaparlament arbeitet, hat Routine darin, unter widrigen Umständen zur Arbeit zu gelangen. Schließlich gehört es zum Ritual, dass Bauern faule Tomaten vor die Bushaltestellen kippen und mit Treckern die Zufahrten versperren. Und so rollten die Mitarbeiter des Europaparlaments ihre Aktenkarren mit stoischem Gleichmut gegen die Fahrtrichtung. Endlich war der Bürgersteig mal breit genug. Und tief durchatmen konnten sie auch.

Der ganz große Erfolg war dem Versuch also nicht beschieden, Europas Nervenzentrum lahm zu legen. Sogar eingefleischte Autofans dachten plötzlich laut über die autofreie Euro-City nach. Ganz nebenbei würden durch sinkende Nachfrage vielleicht sogar die Benzinkosten nachgeben. Ein ketzerischer Gedanke. Bevor er größere Bevölkerungsschichten erfasste, fuhren die Brummis doch lieber wieder nach Hause.

DANIELA WEINGÄRTNER