Die Angst vor der Zuspitzung

von DIEMUT ROETHER

Die Frau wacht auf, richtet sich mühsam auf, torkelt ins Bad und kotzt, wie sie vermutlich noch nie in ihrem Leben gekotzt hat. Offensichtlich hat sich ihr Körper geweigert, die Überdosis Schlaftabletten, die sie ihm zugeführt hatte, zu verdauen. Nun taucht sie also von der Kloschüssel auf und erblickt sich – oder das Häufchen Elend, das von ihr übrig geblieben ist – im Spiegel . . . Wer bei dieser Szene des Films „Mein blühendes Geheimnis“ im Kino lacht, ist mit großer Wahrscheinlichkeit männlich. Frauen finden solche Situationen nicht wirklich komisch – vielleicht, weil sie sie zu gut kennen. Männer jedoch lachen gern über hässliche Frauen, hat auch die Kabarettistin und Schauspielerin Maren Kroymann beobachtet. Sie tun es zwar meist nicht mehr so offen wie früher, doch im Schutz des dunklen Zuschauerraums fällt es immer noch leicht.

Der Philosoph Henri Bergson schrieb in seiner Studie über das Lachen, seelische Kälte sei das wahre Element des Komischen. Nur wer seine Gefühle für einen anderen unterdrückt, kann über ihn lachen.

Komiker üben Macht aus. Sie geben andere der Lächerlichkeit preis. Sie bestimmen, worüber gelacht werden darf und was nicht mehr lustig ist. Frauen haben sich damit – wie mit allen Formen der Machtausübung – lange schwer getan. Zum einen gehört seelische Kälte nicht gerade zu den typischen Eigenschaften, die ihnen zugeschrieben werden. Und wieso, fragt sich zum anderen das zu Bescheidenheit, Einfühlsamkeit und Zurückhaltung erzogene weibliche Wesen, sollen denn die anderen ausgerechnet das witzig finden, was ich selbst für witzig halte? Die Kulturwissenschaftlerin Gerburg Treusch-Dieter nennt es die Angst der Frauen vor der Pointe – der Zuspitzung.

„Sperma ist ekelhaft“

Die Kabarettistin Maren Kroymann sagt, sie kenne gar keine Witze – in der Konkurrenz mit vier älteren Brüdern habe sie allerdings gelernt, Pointen sicher zu setzen. Männer tun sich ihrer Beobachtung nach sehr viel leichter mit dem berühmten: „Kennen Sie den?“ Witzeerzähler haben oft als hässliche kleine Jungs angefangen, die versuchten, andere mit ihren coolen Sprüchen zu beeindrucken. Stefan Raab, Herbert Feuerstein, Harald Schmidt oder Benjamin von Stuckrad-Barre kann man sich gut als picklige Klassenclowns vorstellen.

Frauen hingegen haben wenig Erfolg, wenn sie versuchen, mangelnde Schönheit mit Witz wettzumachen. Mädchen, die Witze erzählen, ernten zwar auch den einen oder anderen Lacher, doch die Jungs ziehen hinterher garantiert mit der gut aussehenden Blondine ab, die die ganze Zeit schweigend dabei saß. Ein Wunder eigentlich, dass es dennoch so viele lustige Frauen gibt. In Hamburg ging gestern die zweite „Frauenleistungsschau“ zu Ende, auf der Kabarettistinnen aus ganz Deutschland Frauen und Männer zum Lachen brachten.

Und hier, auf der Bühne von Alma Hoppes Lustspielhaus, traten Kabarettistinnen wie Lisa Politt und Käthe Lachmann, Rosa K. Wirtz und Hilde Wackerhagen den Beweis an, dass nicht nur das lustig ist, worüber Männer lachen. Wenn eine Frau gutes Kabarett machen will, reicht es nicht „sich als Putzfrau zu verkleiden und zu steppen“, sagt Lisa Politt, die die Frauenleistungsschau organisierte. Wichtig sei, dass sie ihren eigenen Standpunkt klar mache.

Was in den vergangenen Tagen in Hamburg zu sehen war, hat nichts zu tun mit der derzeit im Fernsehen so beliebten Comedy. „Satire“, sagt Lisa Politt, „war immer eine Waffe, die sich von unten nach oben gerichtet hat. In der Comedy wird von oben nach unten gelacht.“

In den Comedy-Shows gibt es zwar auch erfolgreiche Frauen wie Anke Engelke oder Gaby Köster, doch ihre Texte werden meist von Männern geschrieben. Frontalangriffe auf den männlichen Unterleib wie der von Lisa Politt, die vor einigen Jahren gemeinsam mit ihrem Partner Gunter Schmidt mit dem Song „Sperma ist ekelhaft“ ungeahnte Reaktionen auslöste, sind in diesen Witzfabriken nicht denkbar.

Der unerwartete Erfolg, den die beiden Satiriker damit landeten, hat sich jedoch verselbständigt. Die Kabarettistin stoppte schließlich den Vertrieb des Songs, weil sie nicht mehr über all, wo sie auftrat, als die Krawallnudel „Lady Sperma“ begrüßt werden wollte.

Das Spektrum, worüber Frauen und Männer heute lachen, hat sich wohltuend erweitert: So sagt Lisa Politts Kollegin Francesca de Martin von sich, sie sei der „Gottesbeweis dafür, dass Machos nicht immer männlich sein müssen“. Als italienische Pizzabäckerin mokiert sie sich über die Neigung der deutschen Frau, „ihre Nachteile zu betonen: Bloß keinen BH tragen, bis die Hallelujas ausgerollt sind. Alles wächst: An den Beinen, unter den Achseln – die Natur muss sich an der deutschen Frau austoben können. Und dann immer der Versuch, die Männer zu verstehen . . . Was ist daran schon zu verstehen?“ Feministisch inkorrekt auch die Klage der temperamentvollen Italienerin über die deutschen Männer, die nicht einmal den anerkennenden Gratulationsblick auf den weibliche Busen beherrschen . . .

Frauen wie Francesca de Martin zeigen, dass auch im Frauenkabarett endlich über Witze gelacht werden darf, die vor 15 Jahren noch tabu gewesen wären. Gut so, findet Maren Kroymann. Sie hält nichts davon, „nur für einen guten Zweck zu lachen“. Warum soll eine Frau sich nicht über Steffi Graf oder Christiane Herzog lustig machen dürfen, auch wenn die beiden Frauen eigentlich niemand etwas getan haben? Und warum sollte Käthe Lachmann nicht auch Kinder und Rentner der Lächerlichkeit preisgeben dürfen?

„Selbstironie“ nennt man das dann: Wenn irgendwo etwas Lobendes über eine Kabarettistin geschrieben wird, heißt es meist, sie sei „so wunderbar selbstironisch“. Selbstironie, meint Maren Kroymann, „scheint mir eine typische Eigenschaft von Frauenkabarett zu sein. Männer wie die Kabarettisten Dieter Hildebrandt oder Richard Rogler sehen keine Notwendigkeit, selbstironisch zu sein.“

Frauen haben wohl mehr Übung darin, über sich selbst zu lachen, schließlich sind sie seit Jahrhunderten beliebte Zielscheibe schlechter Witze. Doch natürlich sind die guten Kabarettistinnen mehr als nur selbstironisch. Wäre doch auch gelacht, wenn ausgerechnet Frauen nicht in der Lage wären, Männer den Zerrspiegel vorzuhalten und diese wiederum nicht – im Schutz des dunklen Zuschauerraums – über sich selbst lachen könnten.

Lachen braucht ein Echo

Außerhalb des Kabaretts ist das schwerer: Maren Kroymann erntete einmal eisiges Schweigen, als sie in einer Männerrunde, die sich angeregt über die Vorzüge jüngerer Frauen unterhielt, einwarf, sie sei auch sehr zufrieden mit ihrem 18 Jahre jüngeren Liebhaber. Die anwesenden Herren gingen daraufhin rasch zur Tagesordnung über. Gelacht hat keiner.

Lachen braucht ein Echo, schreibt Bergson: „Unser Lachen ist stets das Lachen einer Gruppe.“ Wo eine allein lacht, wird es ihr rasch vergehen. Und noch immer sind es meistens Männer - in den Rundfunkanstalten, den Witzfabriken der Comedy-Stars oder auf KabaretfFestivals, die darüber entscheiden, was komisch ist und was nicht.

Kabarettistinnen wie Karikaturistinnen klagen darüber, wie schwer es ist, als lustige Frau ernst genommen zu werden. In den Tageszeitungen wird das politische Geschehen fast ausschließlich von männlichen Zeichnern kommentiert. Das politische Kabarett wird nach wie vor unangefochten von Dieter Hildebrand, Richard Rogler und Co beherrscht.

Selbst die „lustigste Frau Deutschlands“, Anke Engelke, hat es noch nicht wie Harald Schmidt zu einer täglichen Blödel-Show gebracht. Eine Frau auf der Bühne könne gar nicht komisch sein, heißt es dann. Nur wer im Leben Erfolg habe, wirke komisch, wenn er auf der Bühne den Trottel spiele. Vermutlich mussten Frauen erst einmal die gesellschaftlichen Machtpositionen erobern, um endlich mitzubestimmen, wer zuletzt lacht.

Doch wird es dabei auch weiterhin eher selbstironisch zugehen: So kündigte Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, die bislang nicht gerade durch Witz auffiel, während des Ersten Kassler Komik-Kolloquiums „Haben Frauen was zu lachen?“ an, dass sie sich durchaus Chancen auf den „Orden wider den tierischen Ernst“ ausrechne: „Ich glaube, nach dem letzten Preisträger Herrn Stoiber könnte auch ich mich bewerben.“