„Ich bin von Gott...“

„...und will wieder zu Gott“ – Das „Uri Caine Ensemble“ bringt Mahler als Jazz zurück  ■ Von Roger Behrens

„Urlicht“ heißt das letzte, 1893 von Gustav Mahler komponierte Lied aus dem Zyklus „Des Knaben Wunderhorn“. In Mahlers Zweiter Sinfonie ist es der vierte von fünf Sätzen, steht programmatisch für die am Lied orientierte Sinfonik. Das monumentale Werk, das der seinerzeit in Hamburg engagierte Kapellmeister in den Theaterferien 1894 fertig stellte, ist ein Glaubensbekenntnis sondergleichen: Naive Zuversicht, ein Gottesbild, wie es Kinder haben mögen, mischt sich mit metaphysischer Überzeugung,beinahe religiösem Fanatismus. Wie ein Bachscher Choral heißt die pathetische Verkündung des „Urlicht“-Liedes: „O Röschen rot! / Der Mensch liegt in größter Not! / Der Mensch liegt in größter Pein! / Je lieber möcht' ich im Himmel sein! / Da kam ich auf einen breiten Weg, / Da kam ein Engelein und wollt' mich abweisen. / Ach nein! Ich ließ mich nicht abweisen: / Ich bin von Gott und will wieder zu Gott! / Der liebe Gott wird mir ein Lichtchen geben, / Wird leuchten mir bis in das ewig selig Leben!“ Ein Urlicht, eine Erleuchtung, die dann doch nur noch ein Lichtchen ist. Diese Zerrissenheit findet auch musikalisch Ausdruck: „Sehr feierlich aber schlicht“ heißt es da. Fast triviale Melodieführung wechselt mit komplexen Klangschichtungen, die sich bis zum Wahnhaften steigern: ein fahles Licht.

Mahlers Musik war die erste, die die Akustik des bürgerlichen Konzertsaals vollends nutzte; Form und Gehalt der Musik lassen den Konzertsaal zur „Kathedrale der Musik“ (Karl Schumann) werden. Mit der Ausnutzung der Stereophonie, aber vor allem mit der Anlehnung am Lied greift die Musik auf Grundmechanismen der populären Musik vor; so ist die Jazzinterpretation des Uri Caine Ensembles eine Konsequenz aus Mahlers Musik.

Was bedeutet „Urlicht“? Das Uri Caine Ensemble spricht bei seiner Bearbeitung von „Primal Light“ – also „erstem“ oder „wichtigstem Licht“; gemeinhin wird auch vom „ursprünglichen“ oder gar „uranfänglichen Licht“ gesprochen. Die Etymologie lässt darüber hinaus die Bedeutung „Erleuchtung“ zu.

Nicht von ungefähr: Lichtmetaphysik erhellt bereits die gesamte christlich-abendländische Tradition: Das Urlicht ist Gott (Augustinus: „Das Wort Gottes ist das wahre Licht, das den ganzen Menschen erleuchtet“), das mittelaterliche lumen naturale der menschlichen Erkenntnis, ihm gegenüber das göttliche lumen supernaturale.

Auch die Aufklärung kennt dieses Licht, und dass es bei Mahler am Ende des 19. Jahrhunderts vom Leid gebrochen auftritt, kommt nicht von ungefähr: Gerade Mahlers Zweite, die Auferstehungssinfonie wird vom klagenden Ton geführt. Franz Winter, auf dessen Label das Uri Caine Ensemble veröffentlicht, schreibt von Mahlers Musik, sie sei ein „unauslotbarer Spiegel für das 20. Jahrhundert, voller Chiffren und Zeichen aus der Vergangenheit“. Am Ende des Jahrhunderts deutet der Pianist Caine diese Chiffren und Zeichen noch einmal: Er übersetzt das „Urlicht“ und Exzerpte aus der Ersten, Zweiten und Fünften Sinfonie sowie dem „Lied von der Erde“. Sein Verfahren, Mahler zwischen Klezmer und Elektronik zu interpretieren, entspricht dabei Mahlers eigener Aufführungspraxis anderer Werke. Der Kontrast der Jazzband – aus Ralph Alessi (Trompete), Jim Black (Schlagzeug), DJ Olive (Elektronik), Mark Feldman (Viola), Michael Formanek (Bass), Aaron Bensoussan (Gesang), Don Byron (Klarinette) – zu Mahlers Riesenorchester entspricht so einer geschichtlichen Notwendigkeit.

heute, 20 Uhr, Musikhalle. Pre-Concert: Schorn-Puntin-Duo, 18.30 Uhr, Night Session: Jazz im Brahmsfoyer, 22 Uhr