Dienstbotenträume

Auf den unerlaubten Rausch der Macht folgt der Tod: Genets Kammerspiel„Die Zofen“ unter der Regie von Sebastian Hartmann in den Sophiensaelen

Claire und Solange sind die fatalen Schwestern, die auf ewig in der Hölle einer demütigenden Dienstbotenexistenz eingeschlossen sind. Aus diesem Dunkel, in das wenigstens die „sanfte, schöne, gnädige“ Herrin Licht bringt, gibt es keinen realen Ausweg. So verlegen sie sich auf das Spiel: Wenn die Herrin ausgegangen ist, imitieren sie ihre alltägliche Unterdrückung, spielen selbst Master and Servant im eleganten Boudoir, berauschen sich an der ihnen sonst versagten Macht.

Jean Genets Kammerspiel „Die Zofen“ gehört, knapp sechzig Jahre nach seiner Entstehung, immer noch zu den provokanten Stücken des modernen Theaters. Der Text unterläuft radikal die Konventionen der Moral, des guten Tons, der Humanität. Die Zofen hadern mit ihrem Schicksal. Sie haben nicht den Mut, es einfach anzunehmen, und sie versuchen auch nicht, es zu verändern. Ihnen fehlt es an menschlicher Größe, die Mitverantwortung für ihre Situation zu erkennen. Stattdessen agieren sie in einer virtuellen Welt, die die Wirklichkeit nicht antastet und als Fluchtpunkt dient. Hier ersetzen Zeichen und Symbole tatsächliches Erleben und Rollenwechsel wirkliche Entscheidungen.

Die Ausstattung des Raumes, die Toilette und Kleider der abwesenden Herrin dienen als Dekor und Stichwortgeber einer mörderischen Domestikenfantasie: Claire schlüpft in die Kleider der Herrin und beleidigt ihre Schwester Solange: „Ich hasse die Domestiken. [. . .] dieses niederträchtige und gemeine Geschlecht. Die Domestiken gehören nicht zur Menschheit. Sie [. . .] sind wie Ausdünstungen, die durch unsere Zimmer und Gänge streichen, die durch den Mund in uns eindringen, die uns zerfressen.“ Am Ende nimmt Claire das Gift, mit dem sie ihre Herrin töten wollte. Die Stellvertreterlogik fordert ihren Preis.

Sebastian Hartmann, bekannt durch die Off-Produktionen des „wehrtheater hartmann“ im Tacheles und seine „Gespenster“-Inszenierung an der Volksbühne, hat sich der „Zofen“ von Genet angenommen. Am Wochenende war seine Inszenierung als Gastspiel mit dem „Jungen Theater Göttingen“ in den Sophiensaelen zu sehen. Hartmann bedient sich sehr frei bei Genet: Er nimmt einzelne Passagen heraus und setzt sie auf der Bühne neu zusammen. Die Kontinuität des Erzählens ist gebrochen, die Zofen erklären sich nicht durch Worte, sondern gebärden sich in einem exzessiven Spiel um Gewalt und Lust, das sich am Ende im Tod auflöst.

Der Ort des Spiels ist hier nicht mehr das bourgeoise Schlafzimmer; den herrschaftlichen Haushalt, wie ihn der Text Genets beschreibt, gibt es hier nicht. Die beiden Zofen hausen in einem unterirdischen Verhau, der mit Erde ausgelegt ist und an einen Urwald erinnert. Claire und Solange, von Männern gespielt, so wie es Genet schon für die Pariser Uraufführung 1946 forderte, wälzen sich fast nackt in nasser Erde, beschmieren sich mit weißem Schaum, besteigen sich. Die schwule Fickszene im Schlamm transportiert den für Genets Werk zentralen Gedanken des Lustschmerzes. Von den Auseinandersetzungen mit Freiheit und Moral des Textes ist in dieser Inszenierung aber nichts zu spüren. JANA SITTNICK