Ein Ende, aber keine Lösung

Im Streit um die ideologische Ausrichtung des Hannah-Arendt-Instituts in Dresden ist dessen Direktor Klaus-Dietmar Henke entlassen worden

Es ist wie bei den Physikern von Friedrich Dürrenmatt: Einmal Erdachtes kann man nicht zurücknehmen. Der Gedanke wird mit seiner Formulierung zur Realität; seine Verbreitung nicht mehr unterdrückbar. Das Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT) inszenierte Dürrenmatts Drama im letzten Herbst, allerdings sehr stark bearbeitet.

Institutsdirektor Klaus-Dietmar Henke suchte – mit ähnlich hehren Ansätzen wie die freiwillig ins Irrenhaus emigrierten Physiker – die Verbreitung einer Idee zu verhindern. Anders als bei Dürrenmatt die Angst vor der Kernspaltung war die Idee in der HAIT-Aufführung vor allem naiv: Lothar Fritze, ein Mitarbeiter des Hauses, hatte in einem Aufsatz die These vertreten, dem Hitler-Attentäter Johann Georg Elser habe jegliche moralische Rechtfertigung für seinen Sprengstoffanschlag 1939 gefehlt. Eine solche Idee dürfe das Haus nicht verlassen, befand Henke und untersagte Fritze eine Publikation jenseits der Fachpresse. Uwe Backes, Henkes Stellvertreter, warf daraufhin dem Direktor vor, seine Mitarbeiter zu Duckmäusern degradieren zu wollen. Backes ermutigte den in der DDR mit Publikationsverbot belegten Fritze, seine Gedanken trotz des Henkeschen Dekrets zu veröffentlichen. Die Frankfurter Rundschau publizierte am 8. November letzten Jahres – Elsers Todestag – den in Argumentation, Formulierung und Stichhaltigkeit ausgesprochen schwachen Aufsatz.

So weit der erste Akt. Der zweite allerdings handelte von personellen Konsequenzen. Um dem gegen seinen Direktor opponierenden Stellvertreter beizukommen, schlug sich der wissenschaftliche Beirat des Instituts auf Henkes Seite: Er empfahl, Backes zu entlassen. Weil dies aber rechtlich unmöglich war, sollte Sachsens Wissenschaftsminister Hans-Joachim Meyer eine Professur für Backes finden.

Die Intrige wird jetzt zum tragenden Element der Handlung. Backes wird von Henke als Geschichtsrevisionist dargestellt. Der sucht dagegen Peter Frisch (SPD), Verfassungsschutzpräsident, als Fürsprecher zu gewinnen. Immer schneller werden die Schnitte der Handlung. Ein Mitglied des Institutsbeirates, der Dresdner Politologe Werner Patzelt, lanciert eine gemeinsame Waffenstillstandserklärung von Henke und Backes, die es nicht gibt. Ein anderes Mitglied, der renommierte Holocoust-Forscher Saul Friedländer, erklärt, er werde aus dem Beirat zurücktreten, sollte Backes nicht gefeuert werden. Ministerpräsident Kurt Biedenkopf schaltet sich ein. Die Dresdner Bank droht, Forschungsaufträge zu stornieren – und gefährdet damit die Existenz des gesamten Instituts.

Das große Finale ging in der letzten Woche über die Bühne: Henkes bis Januar 2002 laufender Vertrag wird nicht verlängert. Ein unentschlossener Schluss der Dresdner Inszenierung: Der Streit zwischen Henke und Backes war neben dem persönlichen auch ein Streit um die Ausrichtung des Instituts. Backes aber trat am 1. September eine Gastprofessur im französischen Nanterre an. So erreichte die Dresdner Inszenierung vor allem eines: dem Hannah-Arendt-Institut schweren Schaden zuzufügen. NICK REIMER