Der Unfall als Ornament

Vom Tattoo zu Nietzsches Tapete: Die Ausstellung „Dominidomina“ in der 2yk-Galerie am Flutgraben untersucht, wie Muster, Linien oder andere Dekorationen das Leben in einen visuellen Rhythmus bringen und vielleicht ein bisschen schöner machen

von JANA SITTNICK

Als Adolf Loos in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts seinen Essay „Ornament und Verbrechen“ schrieb, war ihm daran gelegen, das Schmuckelement der Fassadengestaltung als überflüssig zu entlarven. Es hatte keinen Platz mehr im linear strengen Regelsystem moderner Archtitektur, die sich selbstbewusst vom Zierat abwandte. Loos’ eigene Bauten wie die Villa Karma bei Montreux und das Steiner-Haus in Wien zeugen von einer strengen, einfachen Geometrie, die auf Dekor verzichtet.

Die Künstlergruppe „ABR Stuttgart“ setzt das Ornament mehr als Thema einer künstlerischen Vielbedeutung denn als ästhetisches Phänomen in den Mittelpunkt ihrer neuesten Arbeit. Wie ein roter Faden zieht sich das „Schmuckelement“, das in jeder der dargestellten Situationen seinen eigenen „Text“ schreibt, durch die Installation „ABR zitiert F. N.“, die in der Ausstellung „Dominidomina“ in der Kunstfabrik am Flutgraben zu sehen ist. Auf einem Sweatshirt, das neben anderen obskuren Objekten im eigens angefertigten „Lehrmittelregal“ hängt, schweben wölkchenartige Muster in grau-braun-blau. Dieselben Muster zieren auch das Cover eines Bildkataloges von Ad Reinhardt, dem Maler schwarzer Vierecke, der Ornamente mit ähnlicher Leidenschaft gehasst haben soll wie Adolf Loos. Die Fotografie eines Eingeborenen aus Papua-Neuguinea wiederum bezeugt den dortigen Hang zum Ornament: Der nackte Oberkörper des Mannes ist fast vollständig mit winzigen, tätowierten Mustern überzogen.

Die Stuttgarter Künstler René Straub und Harry Walter, die seit 1981 als „ABR“ zusammenarbeiten, setzen das Ornament – in Bezugnahme auf andere Positionen – in neue Kontexte. Das Ornament als Unfall, bei einem zusammengeknautschten D-Zug oder als Muster auf Nietzsches Tapete, die sein Zimmer in Sils Maria zierte und sich nun, auf einer montierten Abbildung von ABR, in die Schreibmaschine des Philosophen hineinwindet. Im „Lehrmittelregal“, das mit seinen zusammengesuchten, ornamentalen Stücken den Eindruck erweckt, als hätte jemand seinen Dachboden aufgeräumt, kann man sich an einer skurrilen Demontage des Kunstbegriffs erfreuen.

Aus der Zeit Nietzsches stammen auch die Augustine-Fotos, nach deren Vorlage Angelika Zeller ihre Porträts stickte. Augustine war eine „Hysterikerin“, die man zu medizinischen Lehrzwecken an den Universitäten vorführte. Zeller stickte die einzelnen Phasen des augustinischen „Anfalls“, von dem heute angenommen wird, dass er gestellt war, auf gebrauchte Kopfkissenbezüge. Die merkwürdigen Mienen wirken wie gemalt. Andere Arbeiten treffen empfindlich den guten Geschmack und sind zugleich politische Stellungnahmen: Auf einem Geldbeutel sieht man Göring gestickt, der ein Kind „lobt“, ein BH trägt auf seinen Körbchen die Gesichter zweier Flüchtlingsfrauen aus Sarajevo. Die Feinrippunterhose schließlich bildet, in Anlehnung an die Renaissance-Malerin Artemisia di Gentileschi, Judith ab, wie sie dem Holofernes den Kopf abschlägt.

Auch Armin Bremickers Ölbilder, die wie Textschlaufen aussehen, bewegen sich in der Spur des Ornamentes. Liest man die Worte auf den Schlaufen, astrophysikalische Betrachtungen über den Raum, so bewegt man sich unweigerlich und formt Muster mit dem eigenen Körper.

„Dominidomina“, bis 1. 10., Do – So, 12 – 18 Uhr, in der 2yk-Galerie der Kunstfabrik, Am Flutgraben 3, Treptow. Am 1. 10., 12 Uhr halten ABR anlässlich der Neuausgabe der Zeitschrift „Copyright“ einen Vortrag über Nietzsche