Auswahlkriterium Ethnie

Es boomt in Almanya: Bücher, Filme und ein Festival von und mit MigrantInnen  ■ Von Imran Ayata und Christiane Müller-Lobeck

Die Frage wäre ohnehin gestellt worden. Dazu hätte es nicht mal ihrer Vorwegnahme durch den Herausgeber Jamal Tuschik bedurft: Wieso denn „eine ethnische Differenz zur Mehrheitsgesellschaft Voraussetzung zur Teilnahme an der Anthologie war“. Die Rede ist von dem Band Morgen Land, der vorgestern in der Werkstatt 3 von Tuschik und dreien seiner AutorInnen, Raul Zelik, Silvia Szymanski und Selim Özdogan, vorgestellt wurde.

Der Herausgeber verteidigte sich nach Kräften gegen den Vorwurf, mit der Auswahl genau die Zuweisung in ein kulturelles Ghetto zu bestärken, die der Kulturbetrieb den Texten von Einwanderern und ihren Kindern schon seit den 70er-Jahren angedeihen lässt. Er habe nunmal das Angebot zu der Textsammlung vom Verlag bekommen und mit dem Untertitel „Neueste deutsche Literatur“ nahelegen wollen, dass diese Texte im Grunde keiner gesonderten Behandlung bedürfen. Raul Zelik merkte zu Recht an, eine Zugehörigkeit zur „deutschen Literatur“ sei angesichts des damit verbundenen nationalistischen Untertons kein erstrebenswertes Ziel und gab die Differenzierung „deutschsprachig“ zu bedenken. Doch auch dann ist eine Einverleibung nicht ausgeschlossen. Ilija Trojanov nannte noch dieses Jahr seine ähnlich angelegte Anthologie Döner in Walhalla. Zum Fressen gern soll man sie haben, die niedlichen „hybriden“ Bewohner dieser Republik, eine „Bereicherung der Sprache um idiomatische und lexikalische Motive“. Befruchtungsfantasien scheinen auch Tuschik und Feridun Zaimoglu umgetrieben haben, als sie ihren gemeinsamen Eröffnungstext zu Morgen Land „Ihr habt Angst vor unserem Sperma“ genannt haben.

Tatsächlich aber wäre es blödsinnig, die Chance zur Veröffentlichung auszuschlagen. Denn auch wenn einige der vertretenen AutorInnen den Support durch eine solche Anthologie vielleicht nicht mehr nötig haben: eine Möglichkeit für bisher Unbekannte bietet so ein Projekt allemal. Und das ist angesichts eines anhaltenden rassistischen Ausschlusses vom deutschen Kulturkuchen, an dem auch einige große Namen von „Migrantenkindern“ kaum etwas ändern, nicht eben wenig.

Demnächst startet in Hamburg das Festival EIGENarten, das in ähnlicher Weise kulturelle Äußerungen hier lebender Nicht-nur-Deutscher versammelt. Eine begleitende kleine Filmreihe bietet allerdings nur Abgegriffenes: Mit Im Juli sowie Kurz und schmerzlos sind gleich zwei Filme Fatih Akins im Programm, so als wären andere Alternativen aus diesem Bereich nicht denkbar oder möglich gewesen. Da ist sogar das ZDF schon weiter, das mehrere Filme junger Filmemacher mit migrantischem Hintergrund seit Monaten ab und an über die Schirme laufen lässt. Und auch mit East is East machen die OrganisatorInnen das Thema „Migration“ bloß zur verdaulichen Kost. Die Auswahl beim EIGENarten-Festival bleibt ein Fangeheimnis.

Weil kaum ein Multikulti-Festival in Deutschland ohne Verweise auf die Herkunftsregionen der größten MigrantInnengruppe auskommt, darf auch ein Film aus der Türkei nicht fehlen. So können HamburgerInnen Sinan Cetins Propaganda sehen und auf dem Heimweg womöglich über menschliche Schicksale an der Grenze zu Syrien hadern. Für diesen Kassenschlager des Jahres 1999 in den Kinos der Türkei konnte Cetin, der zuvor unter anderem Berlin in Berlin drehte, Stars aus Popmusik und Film gewinnen. Darunter Deutschland-Import und Sänger Refet El Roman. Einen seiner letzten Auftritte hatte Kultkomiker und Schauspieler Kemal Sunal, der vor einigen Wochen an einem Herzinfarkt im Flieger von Is-tanbul nach Trabzon starb. Die soziokulturellen Aspekte der kurdischen Region unterschlägt der Film fast völlig. So tauchen Menschen auf, die urbanes Türkisch und nicht Kurdisch sprechen, von Cetin vermutlich eingesetzt, um im türkischen Mainstream erfolgreich zu sein.

Hierzulande kommt sogar der türkische Erfolgsregisseur in die Nische. Doch solange es Rassismus gibt in Almanya, wird es solche Nischen geben. Die Frage für die hier lebenden vom Ethno-Check Ereilten ist nicht: „Wie vermeide ich es, das Angebot anzunehmen, in einem kulturellen Ghetto abgestellt zu werden?“, sondern „Wie kann ich dessen Existenz vielleicht von innen boykottieren?“

Propaganda: 23.9. 13.15 Uhr, 24.9., 11 Uhr, 30.9., 13.15 Uhr, 1.10., 11 Uhr; Kurz und Schmerzlos: 21. + 22.9., 15.15 Uhr, 23.9., 13.15 Uhr, 24.9., 22.30 Uhr, 25. - 27.9., 15 Uhr; East is East: 2. + 3.10., 17 Uhr, alle Abaton; Im Juli siehe Programm; das Festival EIGENarten läuft vom 28.9. bis 1.10.