Milch kaufen am Auto-Abstell-Areal

Warum Kinder in der Vorstadt Einkaufen nur noch aus Bilderbüchern kennen  ■ Von Kaija Kutter

Bitte wie? Die Frage stürzt angesprochene Behördensprecher zunächst mal in Verwirrung. Wieso es erlaubt ist, dass Supermärkte an Parkplätzen liegen? Das führt nämlich dazu, dass Kleinkinder in Gefahr sind, wenn Mütter mit ihnen einkaufen.

Der Supermarkt am Reclamweg in Billstedt beispielsweise ist so angelegt. Parkplätze zu allen Seiten, soweit das Auge reicht, aber kein Fußweg. Mutter muss aber dahin, denn nur hier gibt es frische Milch. Das Baby liegt zwar noch sicher im Kinderwagen, aber das andere Kind hat keine Lust mehr, auf dem angehängten Kiddie-Brett zu stehen. Läuft davon. Stress total. Mutter lässt den Kinderwagen stehen. Denn dass ein Kind nicht vor anfahrende Fahrzeuge läuft – die sich im Recht fühlen, denn schließlich sind Parkplätze ihr Terrain – liegt in der Verantwortung der erziehungsberechtigten Person.

Umgezogen, wieder in einen Vorstadtbezirk, eine vermeintlich kindgerechte Umgebung. Es gibt seit zwei Jahren Rot-Grün, da könnten die Belange zu Fuß einkaufender Mutter-Kind-Gespanne ja wenigstens bei Neubauten berücksichtigt werden. Fehlanzeige. Die Einkaufzeile am niegelnagelneuen Wohngebiet Rahlstedter Höhe ist nur für Autos geplant. Kinderwagenschieber, die sich nicht in der Lage sehen, zehn Treppenstufen zu überwinden, müssen den Parkplatz überqueren, um zu Apotheke und Haspa zu gelangen. Edeka und Bäcker auf der anderen Seite sind stufenlos erreichbar, liegen dafür aber wieder direkt an einem großzügig gestalteten Autoabstellareal. Der Sohn fährt schon Roller, muss sich hier nun wieder hysterische „Paß auf“-Rufe seiner Mutter anhören, denn der Passat, der rasant neben ihm einparkt, ist nunmal stabiler.

Jan-Uwe Rogge, Autor des Klassikers „Kinder brauchen Grenzen“, mahnt in seinem Werk, Mütter und Väter sollten möglichst viel zu Fuß gehen mit ihrem Nachwuchs. Denn die „oftmals überflüssigen“ Autofahrten bedeuteten einen Eingriff in die „Wirklichkeitsaneignung und Raumerfahrung“ von Kindern.

Viele Kinder müssen ihre Raumerfahrung woanders machen, denn ihre Eltern gehen nur noch ohne Kinder mit Auto kurz vor 20 Uhr einkaufen. Ist am praktischten so. Das Töchterchen kennt das Shoppen nur noch aus dem Bilderbuch „Bär und Bär kaufen ein“ (Ravensburger), Obst, Gemüse, Honig, Milch und Brot, allein mit einem Bollerwagen, kein Auto weit und breit.

Parkflächen an Supermärkten sind nach Auskunft der Baubehörde Privatgelände und dürfen von den Besitzern so gestaltet werden, wie die möchten. Immerhin unterliegen diese einer „Verkehrsicherheitspflicht“, die von den Bezirken kontrolliert wird. Die Bauprüfabteilung gucke die Parkflächen nur an, wenn sie neu gebaut werden, heißt es im Bezirk-Mitte. Und von Rahlstedts Ortsamtsleiterin Gudrun Moritz ist zu erfahren, dass es gegen den neuen Parkplatz „technisch“ keine Einwände gab. Gegen undiszipliniertes Fahrverhalten einzelner hingegen, so Moritz, sei „leider kein Kraut gewachsen“.