Serbische Maulkörbe

Im Wahlkampf weht der repressive Wind des Milošević-Regimes gegen die Medien noch stärker: Der serbische Reporter Miroslav Filipović sitzt seit vier Monaten wegen kritischer Berichterstattung in Haft

von ANNETTE JANDER

Am Sonntag wird in Serbien gewählt. Wahlkämpfe passieren zwar eigentlich in den Medien, in Serbien geht es jedoch auch gegen sie. In Slobodan Milošević’ Wahlkampf werden vor allem seine Gegner ausgeschaltet, und dazu zählt er offensichtlich weite Teile der freien serbischen Presse, die seit Beginn des Jahres einer Vielzahl von Repressalien ausgesetzt ist.

Ein besonders drastischer Fall bewegt momentan die Öffentlichkeit. Seit mehr als vier Monaten sitzt der serbische Journalist Miroslav Filipović im Militärgefängnis im serbischen Nis. Am 26. Juli hat ihn dort ein Militärgericht nach nur zwei Tagen Prozess zu sieben Jahren Haft verurteilt. Die Anklage lautete auf Spionage und Verbreitung von Falschinformationen; beides kann in Serbien weitläufig interpretiert werden. Filipović’Anwalt beantragte sofort Revision, genau wie die Staatsanwaltschaft – ihr ist die Strafe zu niedrig. Grundlage der Anschuldigungen ist Filipović’ Korrespondententätigkeit für ausländische Medien: das Londoner Institute for War and Peace Reporting (IWPR) und die renommierte französische Nachrichtenagentur Agence France Press (AFP).

Filipović, der aus einer Offiziersfamilie stammt, hatte seine guten Kontakte zum Militär genutzt, um über die Stimmung in der jugoslawischen Armee nach dem Kosovo-Einsatz zu berichten. Dazu sprach er mit vielen Armeeangehörigen und berief sich später in seinen Artikeln auf deren Aussagen, unter anderem ging es um deren Teilnahme an Gräueltaten. In der Urteilsbegründung (nachzulesen unter www.rsf.fr) heißt es, dass Filipović „sehr schwerwiegende Lügen über die jugoslawische Armee geschrieben hat, die dazu angetan sind, Bürger zu beunruhigen, die loyal zu Armee und Staat stehen“. Und Filipović’ Recherchen sollten in der Tat die serbischen Bürger und Bürgerinnen beunruhigen, denn der hohe Grad an Traumatisierung erinnert an Vietnam. Ein Hauptmann der jugoslawischen Armee berichtet zum Beispiel, wie er mitansehen musste, dass ein Soldat einen dreijährigen Jungen vor den Augen seiner Familie enthauptete. Insgesamt soll die jugoslawische Armee im Kosovo für den Tod von mehr als 800 albanischen Kindern verantwortlich sein. Die Soldaten hatten diese Aussagen zuerst während einer internen Untersuchung des Militärgeheimdienstes gemacht. Einige der interviewten Offiziere gaben an, dass diese Untersuchung der Truppenmoral vor dem Hintergrund der steigenden Spannungen zwischen Serbien und Montenegro galt.

Es ist ganz offensichtlich der Wahrheitsgehalt der Recherchen, der Filipović ins Gefängnis gebracht hat. Die angespannte Situation in Montenegro und eine Serie von Attentaten, der u.a. der Milizenführer Arkan und der serbische Verteidigungsminister zum Opfer fielen, liefern den Kontext für die Kampagne der Belgrader Regierung gegen die unabhängigen serbischen Medien. Filipović’ Verurteilung ist der bisher drastischste Fall.

Seit Beginn des Jahres sind Journalisten, Zeitungen, Radio- und Fernsehstationen Repressalien ausgesetzt. Redaktionen werden überfallen, technische Ausrüstungen werden gestohlen oder unbrauchbar gemacht. Die Veröffentlichung regimekritischer Artikel wird mit hohen Geldstrafen zwischen 50.000 und 100.000 DM belegt. Und es trifft auch unabhängige Fernseh- und Radiosender wie den Sender B2, der in letzter Zeit mehrmals geschlossen wurde. Einige der wiederholt mit Schließung bedrohten Medien senden jedoch inzwischen im Internet weiter. Es gibt aber Anzeichen, dass die Belgrader Regierung auch das Internet stärker kontrollieren will: Die Verurteilung Filipović’, die vor allem auf seinen Berichten für die Website des IWPR beruht, deutet in diese Richtung. Dies dürfte der Regierung jedoch schwer fallen, da das Internet in Jugoslawien mit mehr als 200.000 Nutzern längst eine selbstständige Größe ist. Das IWPR in London ist eine reine Internetpublikation (www.iwpr.net), die als Reaktion auf die Kriege im ehemaligen Jugoslawien 1991 gegründet wurde. Die Korrespondenten sind fast ausschließlich lokale Journalisten.

Anthony Borden, der Geschäftsführer des IWPR, berichtet von einer gut anlaufenden Kampagne für die Freilassung von Mirolav Filipović. Der gesundheitliche Zustand des 49-Jährigen nach wiederholten Herzproblemen gibt dem Institut jedoch Anlass zu akuter Sorge. Rockkonzerte unter dem Motto „Free Filipović“ in Serbien können das gefällte Urteil nicht revidieren. Immerhin: Filipović wurde für seine mutige Arbeit inzwischen für verschiedene internationale Journalistenpreise nominiert, allerdings stehen seine serbischen Kollegen keineswegs geschlossen hinter ihm: Am 18. August veröffentlichte die unabhängige Nachrichtenagentur Beta einen Bericht, demzufolge regimetreue Medien ihn als „Verräter“, „politischer Propagandist“ und als „Marionette und politischer Agent“ der Nato bezeichneten.

Die Kampagne gegen die unabhängigen Medien in Serbien, die sich bisher gut behauptet haben, könnte der Vorbereitung der Wahlen dienen, sie könnte aber auch ein Zeichen dafür sein, dass Milošević tatsächlich einen neuen Konflikt in Montenegro sucht. Trotz guter Umfrageergebnisse für seinen Hauptkonkurrenten Vojislav Kostunica ist nicht auszuschließen, das Milošević die Wahl gewinnt oder das Wahlergebnis nicht anerkennt. Eine eingeschüchterte, unabhängige Presse wäre für Serbien in jedem Fall eine Katastrophe.