Ich bin Richter, ich weiß von nichts

Zweiter Prozesstag gegen Ronald Schill: Journalist belastet den Richter, dessen KollegInnen verblüffen durch Erinnerungslücken  ■ Von Elke Spanner

Amtsgerichtspräsident Heiko Raabe, so scheint es, ist ein vergesslicher Mann. Seit Monaten berichten die Hamburger Zeitungen über den Verdacht, Richter Ronald Schill könnte eine Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung begangen haben. Raabe selbst hat die Ermittlungsakte und später die Anklageschrift gelesen. Doch erst nachdem er am Dienstag in der Zeitung über den ersten Prozesstag gegen Schill las, will ihm eingefallen sein, dass er einmal höchstselbst mit diesem über die strittige Inhaftierung von zwei Prozesszuschauern gesprochen hat. Die „vermutlich entlas-tende Tatsache“ teilte er der Landgerichtskammer telefonisch zu Beginn des zweiten Prozesstages mit. Am Dienstag wird der Amtsgerichtspräsident als Zeuge gehört.

Das Gespräch sollen Raabe und Schill am 31. Mai vorigen Jahres geführt haben, kurz nachdem die beiden Inhaftierten nach drei Tagen aus dem Gefängnis entlassen worden waren. Zwar seien sie nach gemeinsamer Gesetzeslektüre zu dem Ergebnis gekommen, dass der Amtsrichter die Beschwerde nicht so lange hätten liegen lassen dürfen. Schill habe Raabe aber erklärt, warum er sie nicht früher weitergeleitet hatte: Er habe vorher keine Zeit gehabt, weil er sich auf andere Sitzungen vorbereiten musste und noch bei KollegInnen Rat suchen wollte, wie mit solchen Rechtsmitteln zu verfahren sei.

Gegenüber einem Journalisten hatte Schill die Verzögerung damals allerdings anders begründet. Dieser Reporter belastete Schill gestern durch seine Aussage: Während die beiden Inhaftierten noch im Gefängnis saßen, habe der Richter ihm am Telefon erklärt, er „müsse ja nicht gleich springen, wenn Anwälte was von ihm wollen“. Ob er das so verstanden habe, dass die Bearbeitung absichtlich verzögert werden sollte? „Ja, den Eindruck hatte ich.“ Nach dem Telefonat habe Schill ihn noch gebeten, seine Aussage nicht zu schreiben. Ebenso sollte er für sich behalten, dass Schill den Journalisten Tage zuvor persönlich zu dem Prozess gegen den Flora-Aktivisten eingeladen hatte, „da wird es sicherlich hoch hergehen“.

Die zögerliche Bearbeitung der Beschwerde war damals Gesprächsthema Nummer eins in den Gerichten am Sievekingplatz. Selbst als die Präsidialverwaltung schon angeordnet hatte, dass ein Ersatzrichter zu beauftragen sei, wenn Schill sich nicht endlich an die Arbeit mache, soll der sein Vorgehen noch gelassen vor KollegInnen verteidigt haben. Zentraler Punkt der Anklage ist ein Gespräch unter RichterInnen und StaatsanwältInnen in der Gerichtskantine am dritten Tag der Ordnungshaft. Dort soll Schill verkündet haben, er wolle die beiden Inhaftierten „erstmal ordentlich schmoren lassen“. Doch wie zuvor schon ihr Präsident, verblüfften gestern auch die als ZeugInnen vernommenen AmtsrichterInnen durch Vergesslichkeit. Einer will nicht mal mehr wissen, dass es die Kantinenrunde überhaupt gab, eine andere Richterin vermag sich zumindest an Einzelheiten des Gespräches nicht zu erinnern.

Und Schill selbst? Der Angeklagte speiste mit seinen Bodyguards in der Kantine – Abteilung „Gerichtspersonal“.