Ein, zwei, drei, viele Stolpes

Brandenburgs Ministerpräsident räumt Fehler ein und überwindet die Spaltung seiner Persönlichkeit

Das kann eigentlich nicht Manfred Stolpe sein! Ein 64-jähriger, weißhaariger Mann, der dem Brandenburger Ministerpräsidenten zum Verwechseln ähnlich sieht, räumte gestern in der Zeit ein, den Rechtsextremismus im Land jahrelang unterschätzt zu haben. „Ich wollte es einfach nicht wahrhaben“, heißt es da. Und: „Das differenzierte Herangehen an Vorurteile, das Um-Verständnis-Werben ist objektiv eine Unterstützung der Fremdenfeindlichkeit.“ Sätze, die an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Die soll Stolpe gesagt haben?

Manfred Stolpe besitzt eine seltene Charaktereigenschaft. Er kann sich in verschiedene Personen aufspalten. Nehmen wir das Beispiel Rechtsextremismus: Der eine Stolpe verurteilt ganz klar Gewalt gegen Ausländer. Der andere Stolpe findet, dass man diese Gewalt gegen Ausländer in Brandenburg nicht so ohne weiteres mit Ausländerhass erklären kann. Und der dritte Stolpe wirbt um Verständnis für die sensiblen Brandenburger Jugendlichen, die vom Westen überrollt worden sind. Diese drei Stolpes befinden sich im ständigen Gespräch untereinander. Egal, worüber man mit Manfred Stolpe diskutiert – er hat jede Position schon eingenommen, bevor sie formuliert ist. Stolpe ist entweder dafür oder dagegen oder dafür und dagegen – egal, worum es gerade geht. Diese Mischung ergibt den bekannten Konsensmenschen, den Moderator, den Wanderer zwischen den Welten, den Vater des berüchtigten „Brandenburger Weges“.

Über zehn Jahre hat der konservative Sozialdemokrat Stolpe so regiert. Sein Land ist auf diese Weise eine kleine DDR geblieben, gemütlich, aber doch muffig. Wir Brandenburger – das ist Stolpes ganzes Programm. Wer vom großen Kollektiv sich danebenbenimmt, kann mit Verständnis rechnen. Der Landesvater hält noch über jeden seine Hand.

Der Mythos des früheren Kirchendiplomaten der DDR bröckelte zum ersten Mal nach dem Wahldesaster der SPD vor einem Jahr. Die Folge war eine Koalition ausgerechnet mit dem Erzfeind, der CDU. Stolpe wirkte unter dem Druck der neuen Anforderungen plötzlich schwach, müde, ausgelaugt. In dieses Bild passt das eingangs erwähnte Geständnis wieder. Die Selbstkritik stammt also doch von Stolpe.

Diese klaren Worte lesen sich wie ein Beichte. Sie klingen wie das Eingeständnis eines Mannes, der kurz vor dem Ende seiner Karriere merkt, dass er mit seinem Politikstil an Grenzen gestoßen ist. Der ewige Vermittler hat nichts mehr zu vermitteln. Es wird nur noch eine Frage der Zeit sein, bis in Brandenburg alle laut fragen, warum Stolpe dann eigentlich noch regiert. JENS KÖNIG