Gleich ist noch lang nicht gleich

Pensionäre werden besteuert, Rentner nicht. Angeblich eine Gerechtigkeitslücke, die korrigiert werden soll. Dabei liegen die Ungerechtigkeiten ganz woanders

Lange war zu hören, dass die Regierung bei ihrer Rentenreform auch die „nachgelagerte Rentenbesteuerung“ einführen wolle. Gestern wurde dieses Projekt erst einmal verschoben. Wie SPD-Fraktionsvizechefin Ulla Schmidt bekannt gab, will man jetzt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten. Es wird sich voraussichtlich im nächsten Jahr zur Rentenbesteuerung äußern.

Das Gericht hat bereits zweimal, 1980 und 1992, Änderungen der geltenden Praxis angemahnt. Pensionen müssen abzüglich eines „Versorgungsfreibetrags“ wie Arbeitseinkommen versteuert werden – Renten hingegen nur mit dem „Ertragsanteil“. Abgesehen von wenigen Ausnahmen fallen sie damit aus der Steuerpflicht. Die Experten seien sich sicher, dass das Verfassungsgericht aus Gründen der Steuergerechtigkeit für eine Rentenbesteuerung plädieren werde, erfahren wir nun bei allen möglichen Anlässen.

Ganz allmählich gewöhnen sich die Betroffenen an diese Problemsicht. Im folgenden soll diese Ruhe gestört werden: Die geltende Praxis benachteiligt nämlich die Pensionsbezieher nicht; sie stehen sich durchweg besser als die Rentner. Die Gerechtigkeitslücke tut sich ganz woanders auf: zwischen „Altersruhegeldbeziehern“, die nebenher noch arbeiten, und den „aktiven“ Erwerbstätigen.

Das sehen Beamtenvertreter natürlich anders: „Seit der 1980er Entscheidung (sind) Hunderttausende von Versorgungsempfängern mit der Enttäuschung gestorben ..., vom Rechtsstaat im Stich gelassen worden zu sein“, behaupten sie. Um zu überprüfen, ob die Pensionäre tatsächlich schlechter behandelt werden, muss man die Höhe ihrer Bezüge mit der Höhe anderer Alterseinkünfte vergleichen. Das ist im öffentlichen Dienst leicht möglich. Der Bundesangestelltentarif (BAT) ordnet Beamten- und Angestelltenpositionen einander eindeutig zu. Wichtig dabei: Der BAT tut dies über gleiche Tätigkeitsmerkmale – nicht über gleiches Einkommen. So ergibt sich, dass Angestellte im öffentlichen Dienst generell brutto mehr verdienen als vergleichbare Beamte, die dann aber beim Netto-Einkommen umso deutlicher vorne liegen.

Und daran ändert sich auch nichts, wenn man Pensionen und Gesamtversorgungen für Angestellte miteinander vergleicht: Ob der Beamte ledig oder verheiratet ist, ob er eine hohe oder niedrigere Pension bezieht, ob netto betrachtet und nach Abzug von Krankenversicherungsbeiträgen: Stets liegt der Pensionär vor dem ehemals angestellten Kollegen. Und die Abstände werden sich durch den Tarifabschluss im Jahre 2000 vergrößern.

Will man nun auch die private Wirtschaft in diesen Vergleich einbeziehen, stößt man allerdings auf Schwierigkeiten: Die beruflichen Positionen sind nur schwer nach Tätigkeitsmerkmalen vergleichbar. Es wäre auch kein Ausweg, Durchschnittswerte bei den Einkommen zu bilden angesichts des hohen Akademikeranteils bei den Landesbeamten. Zudem hängen bei den Renten die Ansprüche vom Lebenseinkommen ab und nicht – wie im öffentlichen Dienst – vom Einkommen der letzten Berufsjahre. Darüber hinaus bestehen Ansprüche in der Privatwirtschaft an eine betriebliche Zusatzversorgung nur teilweise und außerdem in sehr unterschiedlicher Höhe. So versuchen die Renten- und Steuerexperten gar nicht erst, konkrete Positionen direkt zu vergleichen.

Doch sind die Schwierigkeiten überwindbar. Denn es gibt verwendbare Daten. Ausdrücklich für Vergleichszwecke enthält der Alterssicherungsbericht von 1997 die Ergebnisse von Selbstzuordnungen auf fünf beruflichen Niveaus. Daraus ergibt sich: Die Gesamtversorgungen der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes liegen meist über den Renten der Arbeitnehmer in der privaten Wirtschaft, auch wenn diese Ansprüche an eine betriebliche Zusatzversorgung haben. Ein eigener punktueller Vergleich zwischen einer deutschen Universität und Firmen der metallverarbeitenden Industrie bestätigt: Pensionen mit dem Höchstversorgungssatz von 75 Prozent liegen generell über vergleichbaren Renten unter Einschluss von betrieblichen Zusatzversorgungen.

Die Vertreter der Pensionärsinteressen würden diese Ergebnisse wohl als „überraschend“ bezeichnen. Auch ihre Gegenargumente beruhen natürlich auf Vergleichen – aber diese sind indirekt, indem sie nicht von realen, sondern von angenommenen Zahlen ausgehen. So werden etwa im Quervergleich die Abzüge für gleich hoch angenommene Brutto-Pensionen und -Renten ermittelt. Im Längsvergleich wird berechnet, wie sich unterschiedliche Steigerungsraten auswirken, wenn die Vergleichseinkommen anfangs als gleich hoch angenommen werden. Oder es wird kalkuliert, wie sich Nettoeinkünfte zueinander entwickeln, wenn man als Basis die gleich hoch angenommenen Bruttoeinkünfte mehrerer Stichjahre wählt. Alles erlaubt. Aber zunächst einmal uninteressant.

Denn „gleich hoch“ bedeutet nicht automatisch vergleichbar u n d bewertbar. „Unter der Annahme, dass“ kann man die Wirklichkeit nicht beurteilen (als z. B. gerecht oder ungerecht). Dafür muss man die „Verhältnisse“ kennen, nicht nur ein Zahlen-„Verhältnis“. Alle drei Strategien finden sich in der einschlägigen Literatur, in Artikeln von Interessenvertretern, Steuerjuristen, Finanzwissenschaftlern und Rentenfachleuten. Doch werden die Vergleiche ausnahmslos methodisch unzulässig für Bewertungen genutzt. Das Bundesverfassungsricht wäre schlecht beraten, sich auf solche Expertisen zu verlassen.

Am direkten Vergleich führt kein Weg vorbei. Die vorhandenen Daten sprechen mit hoher Sicherheit dafür, dass es keine Gerechtigkeitslücke gibt, die die Pensionäre trifft. Dies bedeutet aber nicht, dass eine Rentenbesteuerung damit überflüssig wäre. Denn es gibt durchaus eine Gerechtigkeitslücke – allerdings ganz woanders: zwischen (verheirateten) Altersruhegeldbeziehern, die teilweise weiter arbeiten, und Arbeitnehmern diesseits der Verrentung.

Beispiel: Ein verheirateter Versorgungsrentner (ehemals I b BAT) brauchte für ein zusätzliches Arbeitseinkommen von 26.000 Mark keine Steuer- und Sozialabgaben zu leisten. Ein aktiver Kollege hingegen, der von einer Teil- auf eine Vollzeitstelle wechselt und sein Jahreseinkommen dadurch ebenfalls um 26.000 Mark erhöht, müsste verheiratet etwa die Hälfe und ledig fast drei Fünftel dieses Zusatzverdienstes abführen.

Fazit: Renten und sonstige Alterseinkommen müssten, wenn es um Steuergerechtigkeit geht, nicht steuerlich belastet werden. Dies heißt jedoch nicht, dass die Besteuerung von Rentnern völlig abzulehnen ist: Wenn sie arbeiten, sollte dieses zusätzliche Erwerbseinkommen auch veranlagt werden – genau wie bei jedem anderen Arbeitnehmer. Dann würde, um eine Konsequenz dieser Überlegungen zu nennen, eine veränderte Rentenbesteuerung auch kein Haushaltsrisiko in Höhe von 40 Milliarden Mark darstellen, wie Hans Eichel nicht müde wird zu behaupten. KLAUS DIETER BOCK

Hinweise:Die Gerechtigkeitslücke besteht zwischen Erwerbstätigen und Rentnern, die nebenher noch arbeitenDie Pensionen liegen generell über den vergleichbaren Renten – sogar nach Besteuerung