Diamanten spalten UN-Mission

Nach Schmuggelvorwürfen gegen Nigeria zerfällt die UN-Mission in Sierra Leone

BERLIN taz ■ Die größte UN-Mission der Welt ist ernsthaft bedroht. Der indische Kommandant der derzeit 12.477 UN-Blauhelme in Sierra Leone, General Vijay Jetley, verlässt seinen Posten zusammen mit 3.059 indischen UN-Soldaten. Mit der am Mittwoch bekannt gegebenen Entscheidung, die in mehreren Phasen umgesetzt werden soll, verliert die UNO ihr zweitgrößtes Truppenkontingent in Sierra Leone.

Hintergrund ist ein offener Schlagabtausch mit Nigeria, das das größte Truppenkontingent und den politischen Leiter der Mission stellt. Vor zwei Wochen wurde ein vertrauliches Papier von General Jetley bekannt, in dem er den führenden Nigerianern in der UN-Mission „Sabotage“ vorwarf. Das Papier wurde im Mai verfasst, als die sierraleonische Rebellenbewegung RUF (Revolutionäre Vereinigte Front) hunderte von UN-Blauhelmen als Geiseln nahm und die UN-Mission in Sierra Leone komplett zu scheitern drohte. Dies, so Jetley, war bewusste Politik Nigerias in Zusammenarbeit mit der RUF. Den Nigerianern in der UN-Mission „stand der Schutz nigerianischer Interessen an erster Stelle, auch wenn es die Zerstörung des Friedensprozesses bedeutete“.

„Nigerias Armee war daran interessiert, in Sierra Leone zu bleiben, wegen der massiven Profite aus illegaler Diamantenförderung“, benennt Jetley die „nigerianischen Interessen“ – Frieden hätte ein Ende der nigerianischen Militärpräsenz bedeuten müssen. Nigerias Armee ist seit 1990 in Liberia und danach in Sierra Leone aktiv, die meiste Zeit als führender Bestandteil der westafrikanischen Eingreiftruppe Ecomog, die zwischen Oktober 1999 und April 2000 von der UN-Mission abgelöst wurde. Der Wechsel von Ecomog zu UNO habe, so Jetley, Nigerias Einfluss geschmälert. Daher hätten die Nigerianer gegen den UN-Friedensprozess intrigiert.

Dem einstigen nigerianischen Ecomog-Kommandanten Gabriel Kparber wirft Jetley sogar vor, „in Zusammenarbeit mit RUF-Führer Foday Sankoh an der illegalen Diamantenförderung beteiligt“ gewesen zu sein. Dass Nigerias Armee in Liberia und Sierra Leone Rohstoffe ausgeplündert hat, ist ein offenes Geheimnis. Eine sierraleonische Zeitung berichtete jetzt, die Diamantenminen im Osten Sierra Leones seien zwischen der RUF, der regierungstreuen Kamajor-Miliz und nigerianischen Ecomog-Angehörigen aufgeteilt.

Nigeria hat alle Vorwürfe immer bestritten und verlangte nun in scharfen Tönen von der UNO, Jetley aus Sierra Leone abzuziehen. Doch das konkrete Dementi fiel merkwürdig schwach aus. „Kein nigerianischer Offizier oder Soldat wurde je bei illegalen Bergbauaktivitäten erwischt“, erklärte Nigerias Generalstabschef lediglich.

Offiziell stellt Indien den Rückzug aus Sierra Leone jetzt als „Routinerotation“ dar. Doch in der Praxis verliert die UN-Mission in Sierra Leone ein Viertel ihrer Soldaten und rutscht in eine tiefe Krise. Angesichts der Lage stellte der UN-Sicherheitsrat am Mittwochabend eine Entscheidung über die von UN-Generalsekretär Kofi Annan gewünschte Aufstockung der maximalen Truppenstärke in Sierra Leone von 13.000 auf 20.500 Mann bis Jahresende zurück.

DOMINIC JOHNSON