„Viele sind unzufrieden“

IG-Metall-Vorstandsmitglied Horst Schmitthenner, Arbeitslosen- und Umweltgruppen rufen während einer „Halb-Zeit!-Konferenz“ in Berlin zur Kritik an der rot-grünen Bundesregierung auf

INTERVIEW: SILVIA BOSE

taz: Herr Schmitthenner, Sie sind Mitinitiator der „Halb-Zeit!-Konferenz“. Kann die Konferenz die Erwartungen erfüllen, eine neue Öffentlichkeit zu schaffen?

Horst Schmitthenner: Zumindest ist das so geplant. 1998 hat die Forderung „Kohl muss weg!“ die außerparlamentarische Bewegung geeint. Aber auch heute sind viele mit der Politik der rot-grünen Regierung unzufrieden. Mit der Halb-Zeit!-Konferenz zeigen wir, dass es Menschen gibt, die sich einmischen. Zu diesem Zweck wollen wir uns auf eine inhaltliche Plattform einigen zu Themen wie Arbeit, soziale Gerechtigkeit und Ökologie, Frieden, Abrüstung und Demokratisierung.

Fällt es den Gewerkschaften schwer, die Regierung zu kritisieren?

Die Gewerkschaften tun sich fünfmal so schwer mit der rot-grünen Bundesregierung wie mit der Vorgängerin. Aber nehmen wir mal die Rente: Sicher ist es auch bei der Rentenfrage sinnvoll, einen Kompromiss zu suchen und Konfrontationen zu vermeiden. Aber wenn schon am Beitragssatz von 22 Prozent nicht mehr zu rütteln ist, weil der Gesichtsverlust für die Regierung viel zu groß wäre, müssen wir auf anderem Wege Geld in die Rentenkasse bekommen. Wir könnten Selbstständige und Beamte und auch die zur Förderung der Privatvorsorge veranschlagten Steuermittel in Höhe von 19,5 Milliarden Mark einbeziehen.

Es geht auch um eine Bilanz der Regierungsarbeit. Rot-Grün hat aber doch immerhin einiges bewirkt ...

Klar. Aber wir sind nicht nur für eine neue Regierung eingetreten, sondern auch für eine andere Politik. „Mehr Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ war der zentrale Slogan, und das muss die Regierung einlösen, wenn sie ihre Basis nicht verlieren will. Bei der gesetzlichen Rentenversicherung sägt sie aber an der zentralen Säule des Sozialstaates.

Mit welchen Folgen?

Das Konzept ist doch: Man setzt die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung so weit runter, dass die Rente den Lebensstandard nicht mehr sichert. Die Lücke sollen die Arbeitnehmer allein zahlen, weil die Arbeitgeber und der Standort nicht belastet werden dürfen, heißt es.

Für manche mag das vielleicht sogar vernünftig klingen.

So ließe sich aber auch bei der Gesundheitsreform und der Arbeitslosenversicherung argumentieren. Es geht also nicht nur um die Rentenversicherung, sondern um den Sozialstaat, in dem bisher die Verantwortung von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Staat gemeinsam getragen wurde. Wenn sich die Regierung durchsetzt, haben wir einen Sozialstaat, den zum größten Teil die Arbeitnehmer bezahlen müssen.

Die Gewerkschaften sitzen mit Regierung und Arbeitgebern im Bündnis für Arbeit an einem Tisch. Herausgekommen ist bisher nichts. Warum machen sie das mit?

Weil die Gewerkschaften in der Defensive sind. Ihnen fällt es noch immer schwer, Angestellte, Frauen und Jugendliche zu gewinnen und als Mitglieder zu binden. Und: Bei 3,8 Millionen Arbeitslosen ist die Gestaltungskraft per se geschwächt. Im Bündnis für Arbeit glauben die Gewerkschaften, Politik gestalten zu können, auch wenn sie dafür Zugeständnisse machen müssen. Das tun sie in der Hoffnung, dass die Bundesregierung ihnen im Gegenzug auch etwas gibt – nämlich gesellschaftlichen Einfluss und Ansehen.

Geht die Rechnung auf?

Nein. Die Alternative wäre, dass sich die Gewerkschaften auf ihre eigene Kraft besinnen, Mitglieder mobilisieren, Forderungen bündeln und einklagen – notfalls mit Demonstrationen.