Das Tier des Jahres

Der tödliche Kampfhundangriff auf einen Sechsjährigen in Hamburg brachte Ende Juni das Fass zum Überlaufen. Heftig war der Aufschrei der Bevölkerung und ungewohnt schnell die Reaktion der Politik.

So will die Bundesregierung Handel, Zucht und Haltung von Kampfhunden verbieten. Ein entsprechendes Gesetz wird vorbereitet. Danach sollen die besonders gefährlichen Pitbullterrier, American Staffordshireterrier und Bullterrier nicht mehr nach Deutschland eingeführt werden.

Für zwölf „gefährliche“ Rassen herrscht in Berlin Maulkorbpflicht. Bei Verstößen gegen das verschärfte Haltungs- und Zuchtverbot drohen Strafen von bis zu 10.000 Mark. Hamburg und Niedersachsen beschlossen ein generelles Halteverbot von Kampfhunden.

Tierärzte und Verhaltensforscher kritisieren indes solche Rassenlisten. Wenn ein Hund aggressiv sei, liege das an seiner Erziehung und nicht an den Genen. Auch rechtlich dürfte so mancher Spontanerlass nicht haltbar sein. Klagen von Hundefreunden sind bereits am Laufen. In Berlin und anderswo demonstrierten aufgebrachte Hundefreunde. Hunde beurteilen – nicht verurteilen, forderten sie auf Transparenten.

Nach der Verschärfung der Verordnungen wächst die Nervosität unter Kampfhundbesitzern, die Zahl der ausgesetzten Tiere steigt. Hundeheime klagen über Platzmangel. Bereits Anfang Juli warf ein Mann seinen American Staffordshireterrier aus dem Fenster, weil das Tier nach seiner Tochter geschnappt hatte.

Auch die Polizei ist nach Auffassung ihrer Gewerkschaft GdP mit den neuen Verordnungen völlig überfordert. Die Beamten seien im Umgang mit den gefährlichen Tieren gar nicht ausreichend geschult. In der Ausrüstung fehlten spezielle Fangleinen, Maulkörbe sowie bisssichere Handschuhe.

Unterdessen ist der Wesenstest für Kampfhunde praxisreif. Er wurde von der Tierärztlichen Hochschule Hannover entwickelt und ist in Niedersachsen nach der neuen „Gefahrtierverordnung“ obligatorisch. Ziel: Hunde mit starkem Aggressionsverhalten herauszufinden.

An der Leine seines Herrn geht der Testhund spazieren. Dabei begegnen ihm ein Jogger, ein Betrunkener und ein ängstlicher Mensch. Die Reaktion des Tieres wird per Punktekatalog von einem Verhaltensforscher bewertet. Die Bandbreite reicht von „Keine aggressiven Signale“ bis „Beißen“: Wenn der Hund zubeißt, wird der Test abgebrochen, das Tier eingeschläfert.

Bundesweit zählte der Deutsche Städtetag allein von 1991 bis 1995 über 3.500 Beißvorfälle. Neuere Zahlen gibt es nicht. Um Freund und Feind dennoch wieder zu versöhnen, hat sich in Düsseldorf eigens ein Verein gegründet: Menschen Tiere Werte (MTW) will ein harmonisches partnerschaftliches Miteinander wiederherstellen.

Viele Bundesländer beginnen die verschärften Hundeverordnungen wieder zu entschärfen, um Hunde nicht gänzlich zu illegalisieren. Lediglich „große“ Hunde müssen Maulkorb tragen. BJÖRN KERN