Auf Samtpfoten zur Unabhängigkeit?

Schottlands Nationalisten wählen mit John Swinney einen Realo zum neuen Parteichef. Er fordert ein Referendum

INVERNESS taz ■ So viel Applaus hatte John Swinney nicht erwartet. Auf dem Parteitag der Scottish National Party (SNP) in Inverness feierten die meisten Delegierten ihren neuen Parteichef mit stehenden Ovationen, als ob er soeben die Unabhängigkeit des Landes verkündet hätte.

Die soll er in den nächsten sieben Jahren liefern. Sein Gegner Alex Neil erhielt nicht einmal halb so viele Stimmen. Neil ist Fundamentalist, Swinney ist Realo. Der eine sieht das vor anderthalb Jahren gewählte teilautonome schottische Parlament als Schwatzbude ohne Bedeutung, der andere hält es für ein Hilfsmittel, um sich Stück für Stück Machtbefugnisse von London zu erobern – bis Schottland eines Tages unabhängig ist.

Neil, der unterlegene Mann vom linken Flügel der SNP, verdächtigt Swinney, der wolle sich mit einer führenden Rolle in einem teilautonomen Parlament zufrieden geben. Swinney bestreitet das. „Ich will auch so schnell wie möglich ein unabhängiges Parlament“, sagt er, doch will er das Volk nach einem Wahlsieg der SNP lieber noch mal befragen. Ein taktischer Zug, um all jene Schotten nicht zu verprellen, die zwar die SNP wählen würden, mit dem status quo aber zufrieden sind. Bei einer Umfrage der Zeitung „Scotsman“ kam jetzt heraus, dass nicht mal ein Viertel aller Schotten für die Unabhängigkeit ist.

Andererseits lag die SNP bei der Umfrage zum ersten Mal vor der Labour Party, die weiter von dem Streit um die hohen Benzinpreise gebeutelt wird. Die SNP versuchte auf dem Parteitag, daraus Kapital zu schlagen. „Für Schotten ist es unverständlich, dass wir die höchsten Benzinpreise in Europa haben, obwohl wir die größte Öl produzierende Nation in Europa sind“, sagte der bisherige Parteichef Alex Salmond. Salmond hat die SNP, die er zehn Jahre lang geleitet hat, endgültig zu einer ernst zu nehmenden Kraft gemacht, und er hat großen Anteil an der Einrichtung des schottischen Parlaments. Die Rücktrittsankündigung des erst 45-Jährigen hatte die Partei im Sommer in einen Schockzustand versetzt, denn er personifizierte die SNP. Nur zwölf Prozent hatten vor Samstag von John Swinney gehört.

Als im Mai vergangenen Jahres die 129 Abgeordneten gewählt wurden, die zum ersten Mal seit fast 300 Jahren über schottische Angelegenheiten selbst entscheiden dürfen, blieb die SNP mit 35 Mandaten weit hinter den Erwartungen zurück. Dennoch ist Angus Robertson, der außenpolitische Sprecher der Partei, mit dem Parlament einigermaßen zufrieden. „Es hat einiges geändert, vor allem psychologisch“, sagt der 30-Jährige in breitem Wienerisch, denn er hat sieben Jahre bei Radio Blue Danube in der österreichischen Hauptstadt gearbeitet. „Jetzt ist nicht mehr London, sondern Edinburgh im Blickpunkt schottischer Politik. Außenpolitik und soziale Fragen, Verteidigung und Finanzen werden freilich weiterhin in London entschieden.“

Früher war Schottland vor allem Testgelände für unpopuläre Maßnahmen – seien es die Einführung der umstrittenen Kopfsteuer, Fabrikstilllegungen oder die Stationierung von Atomwaffen. „Wir dürfen uns nicht täuschen: Wir haben keine Unabhängigkeit wie andere kleine europäische Nationen, zum Beispiel Österreich, Dänemark oder die Schweiz“, fügte Robertson hinzu. „Die Befugnisse unseres Parlaments sind eher mit einem deutschen Bundesland zu vergleichen.“ Aber, fügt er hinzu, die SNP sei die größte Oppositionspartei: „Und Oppositionen gewinnen irgendwann die Wahl.“

Noch ist es nicht soweit, in Schottland regiert eine Koalition aus Labour und Liberalen Demokraten. Mit 56 Sitzen hat die Partei von Tony Blair, der in Schottland geboren ist, die angepeilte absolute Mehrheit verfehlt.

RALF SOTSCHECK