Gegen die Wand segeln

Sonnenuntergänge aus Metall: Der aus Island stammende Olafur Eliasson ist für den „Preis der Nationalgalerie für junge Kunst“ nominiert. In seinen Arbeiten beschäftigt er sich damit, wie die Schönheit der Natur sich von Hand konstruieren lässt

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Am 2. September 2000 zeigte ein großes Foto auf der Titelseite der Stockholmer Tageszeitung Dagens Nyheter den leuchtend grün gefärbten Fluss Strömmen, der am schwedischen Reichstag vorbeifließt und die repräsentative Kulisse mit einem Schlag veränderte. Erst auf Seite 10 wurde sachlich erklärt, dass es sich um eine technische Überprüfung von Wasserwegen handelte.

„Das ist typisch Schweden“, stellt Olafur Eliasson fest, der als Urheber des grünen Flusses mit keiner Zeile erwähnt wurde. Unangemeldet hatte er das Wasser zur farblichen Markierung des Zentrums genutzt und damit dessen Erscheinungsbild völlig verändert. Dass ihn ein Fotoreporter dabei unwissentlich, aber tatkräftig unterstützt hat, freut den jungen Mann. „Da werden die Raumkanten wieder sichtbar, die Strömung, die Wassermengen“, beschreibt Eliasson jene ortsprägenden Elemente, die der „grüne Fluss“ neu zu Bewusstsein bringt. Als er zur Berlin Biennale 1998 die Spree grün färben wollte und dies in kolorierten Fotos schon vorweggenommen war, erschien eine schöne Kritik von einer dänischen Journalistin. Da wurde Eliasson, der an der Kopenhagener Akademie studiert hat, ausführlich für seine Aktion gewürdigt. Mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass der „grüne Fluss“ in Berlin gar nicht stattgefunden hatte, weil es keine Genehmigung gab.

Es sind gerade diese Verschiebungen zwischen realem Ereignis und seiner medialen Repräsentation, die den Künstler interessieren. Er vergleicht eine Autofahrt, bei der er die Landschaft durch die Windschutzscheibe als Bild wahrnimmt und von ihren Geräuschen und Temperaturen entfernt ist, mit einer mehrtägigen Wanderung. „Es geht nicht darum, dass die eine Wahrnehmung besser wäre als die andere“, sagt er, „sondern um das Bewusstsein, auf welchem Punkt man sich zwischen diesen beiden Polen befindet.“

Ungeheuer genau und mit anschaulichen Modellen erklärt Eliasson sein Konzept. Man kann fast Satz für Satz mitschreiben. Seine Installationen dagegen verführen mit einer ganz anderen visuellen Präsenz. Mit unverhofftem Witz verändern sie die Koordinaten der eigenen Bewegung, rebellieren gegen die standardisierte Nutzung des Raums. Und spenden ganz nebenbei großzügig Trost darüber, dass unser Leben keinem Hollywood-Film mit Happy End gleicht.

In Utrecht baute er letztes Jahr einen Sonnenuntergang. 24 Meter maß die gelbe Metallscheibe, die in 60 Meter Höhe auf ein Dach montiert war und zur Zeit des Sonnenuntergangs angestrahlt wurde. Von vielen Straßenfluchten aus, hinter Bäumen und Schornsteinen, vermittelte „Der doppelte Sonnenuntergang“ zugleich ein Gefühl von seiner Künstlichkeit und von der Unmöglichkeit, ihn unverstellt, ohne Rahmung durch Klischees zu erleben. Sonnenuntergänge sind heruntergekommen zum Kitsch und werden doch noch immer als Chiffre intimster Sehnsüchte gebraucht. Das macht sie für Eliasson zum idealen Medium. Jeder kennt sie, jeder kann sich dazu verhalten, bringt Erwartungen und Erfahrungen mit. Deshalb benutzt er so gern Zitate aus der Natur.

Er hat mit Eis, Nebel, Moosen, Wind und Regenbogen gearbeitet. Aber kaum im Sinne einer ökologischen Botschaft: Eliassons Wasserfälle und Regenbögen offenbaren ihre Konstruktionsweise eher mit dem ganzen Charme eines Heimwerkermarktes. Man sieht jeden Schlauch, jedes Gerüst und jeden Scheinwerfer. Nichts wird verkleidet.

Dennoch scheinen seine Installationen daraufhin angelegt zu fragen, was noch zu haben ist von den Kategorien des Erhabenen und des Transzendenten. Sie spielen mit der großen, allumfassenden Geste und der Möglichkeit, ein ergreifendes Schauspiel zu inszenieren, um dann doch darauf zu verzichten. „Haben Sie ‚Truman-Show‘ gesehen, den Moment, wo der Serienheld gegen die Wand der Kulisse segelt?“, fragt Eliasson, der immer auf der Suche ist, die Bedingungen für die Konstruktion unseres Bildes von Wirklichkeit ausfindig zu machen.

Für den „Preis der Nationalgalerie für junge Kunst“ will er im Hamburger Bahnhof Außen- und Innenraum verbinden. Hinter dem Museum soll eine Grube ausgehoben werden, um mit der Erde und dem Bauschutt, der sich dort als historische Hinterlassenschaft findet, eine Skulptur in der Halle zu formen. Nach dem Wettbewerb wird das Material zurückgekippt. Lapidarer kann man wohl kaum der Erstarrung des Kunstmachens im Werk entgegenarbeiten.