Gedächtnisinseln

Gestern wurde Berlins Filmmuseum endlich eröffnet – nur ist es leider ein wenig eng geraten. Die Konzeption: Wenig erklären, dafür alles evozieren

von KATJA NICODEMUS

Berlin hat ab heute ein Filmmuseum. „Es ist aber noch nicht ganz fertig“, wie sein Leiter Hans Helmut Prinzler auf der Pressekonferenz zur Eröffnung ganz entspannt einräumte. Vom rein informellen Wert abgesehen war es eine merkwürdige Veranstaltung. Nicht weil der ehrwürdig ergraute Animator Ray Harryhausen auf dem Podium irgendwann ein kleines Skelett aus der Tasche zog, um die Stop-Motion-Technik in „Jason und die sieben Argonauten“ zu demonstrieren. Sondern weil sie da war: Marlene Dietrich in der Gestalt und Stimme von Maria Riva, die ihrer Mutter mit dem Alter immer ähnlicher wird. In dieser physischen Präsenz zweiten Grades hatte die (Fast-)Gegenwart der Dietrich im Filmmuseum etwas geradezu Gespenstisches. Vielleicht weil ein solcher Ort immer ein Spiel mit den Erinnerungen ist, vielleicht auch, weil gerade am Beispiel dieser Mutter-Tochter-Beziehung das Spannungsfeld zwischen Ruhm, Glamour und dem Alltäglich-Profanen deutlich wird, in dem die Vitrinen eines solchen Museums eben auch stehen. „Film ist wie das Leben“, war eine der milderen Plattitüden, die aus dem Munde der Marlene-Tochter perlten, wobei sie da ja gar nicht mal so Unrecht hat.

Was kann ein solches Museum als Gedächtnis filmischen Lebens eigentlich Besseres leisten, als immer wieder Bilder hervorzurufen? Fragt sich nur, ob dieses Assoziationsangebot beim durchschnittlichen Besucher funktioniert, der, wie der ganz normale Berlintourist zwischen Einkaufspassagen und den Imax-Filmen mit Willy Bogners Panorama-Skifahrten, filmgeschichtlich eher unbeleckt in den gläsernen Aufzug zum dritten Stock des Sony-Gebäudes am Potsdamer Platz steigt.

Zu viel voraussetzen oder zu viel erklären – angesichts dieses gewissermaßen projektimmanenten Dilemmas haben sich die Verantwortlichen für die evozierende und gegen die didaktische Ebene entschieden. Das mag in der eher fetischisierenden Pop-Abteilung „Künstliche Welten“ mit Darth Vader, Robocop bzw. dem wild mit einer Echse raufenden Harryhausen-King-Kong funktionieren. Ausführlichere Erläuterungen fehlen allerdings beim filmhistorischen Rundgang. Wie aus einem unbewusst schlechten Gewissen heraus sind die spärlichen Texte an den Eingängen der Räume dafür umso volksnaher gehalten. „Im Kino werden Geschichten erzählt, immer wieder andere, immer wieder die gleichen. Auf der Leinwand sehen wir Männer und Frauen, Glück und Unglück, Liebe und Leid“, heißt es zu Beginn des Hauptkomplexes „Berlin-Hollywood-Deutschland“.

Über elf Stationen wird hier die Geschichte des deutschen Films von den Anfängen bis in die Moderne verfolgt – also von den ersten Plakaten bis zu einer Figur, die aussieht wie ein ausgetrockneter Zombie mit strähnigen roten Haaren und anscheinend auf den Erfolg von „Lola rennt“ verweist. Nach einer ausführlichen Plakat-, Storyboard- und Foto-Galerie zur frühen deutschen Filmgeschichte, die durch die fehlende Beschriftung derzeit noch etwas elitär wirkt, hat dann die Marlene Dietrich Collection ihren großen Auftritt. Natürlich macht es Spaß, die US-Uniform, Roben und Filmstills der Dietrich zu sehen, ihre Zigarettendose mit von Sternbergs halbfrivoler Gravur oder eine dahingekritzelte Notiz, in der sie Fritz Lang als „sadist incorporated“ bezeichnet. Aber am längsten verharrt man dann doch vor dem großen Bildschirm am Ende der Abteilung, wo in einem Endlos-Loop Marlenes unglaublich augenklimpernde Gesangsauftritte aus Wilders „A foreign affair“ laufen. Das bewegte Bild gibt buchstäblich immer die bessere Vorstellung.

Dass die Auswahl der Themen und Exponate einerseits immer ein wenig eklektizistisch ist, andererseits stets irgendwie repräsentativ wirkt, ist ein weiteres Dilemma solcher Ausstellungen. Problematisch wird es erst, sobald die Politik bzw. Propaganda ins Spiel kommt. Im direkt auf die Dietrich-Passage folgenden Olympia-Raum geht das Prinzip des reinen Evozierens jedenfalls eindeutig nach hinten los. Vielleicht zehn Zeilen Text, die das Phänomen Leni Riefenstahl in windelweiche Einerseits-andererseits-Diplomatie fassen, ein paar Plakate, eine Partitur, eine Handvoll projizierte Standbilder aus „Triumph des Willens“ und ein Modell des Olympiastadions, auf dem noch Riefenstahls Kamerapositionen markiert werden – das war's. Was die auf den ersten Blick eher unverbindlich wirkenden Exponate an Involviertsein nicht beweisen können, hätten gerade hier Dokumente oder Texte leisten müssen.

Durch einen gruftartigen, aber noch unfertigen Nationalsozialismus-Raum gelangt man zum bewegendsten und zugleich unspektakulärsten Teil der Ausstellung: einem kurzen Gang zum Thema Filmexil. Dankesbriefe an den Agenten Paul Kohner, der sich der deutschsprachigen Filmschaffenden in Hollywood annahm, Spendenlisten des Hilfsfonds für die ärmeren Kollegen (Lubitsch: 380 Dollar) und weitere kleine verzweifelte Dokumente erzählen eine Geschichte jenseits der bewegten Bilder. Vergilbte Gedächtnisinseln, die für sich alleine stehen und plötzlich mehr als Reliquien der Leinwand sind.

17 Jahre hat es gedauert von der ersten Idee eines Filmhauses bis zur gestrigen Eröffnung. Im Sony-Gebäude hat das Filmmuseum Berlin weniger Raum bekommen, als ihm eigentlich zustünde. Es ist ein Kabinett, verwinkelt und gedrängt wie das des Dr. Caligari. Der gesamte deutsche Nachkriegsfilm ist zum Beispiel in einer Art lang gezogenen Abstellkammer untergebracht. Irgendwo in der Ecke hängt auch das Oberhausener Manifest.

Vor allem angesichts des engen Endes wird klar: Mit Abstand am großzügigsten hat sich Marlene Dietrich auf den 1.500 Quadratmetern Ausstellungsfläche eingerichtet. Einerseits hat dies mit dem Umfang des Nachlasses zu tun, andererseits ist in solchen Ausstellungen, wie gesagt, letztlich alles repräsentativ. So nimmt Marlene in Berlin endlich den Platz ein, der ihr gebührt, und das hat nach allem, was gelaufen ist, auch einfach seine Richtigkeit.

Filmmuseum Berlin, Potsdamer Str. 2, Tiergarten, geöffnet tägl. 10 – 18 Uhr, Do bis 20 Uhr, Mo geschlossen, Katalog „Filmmuseum Berlin“, Wolfgang Jacobsen, Hans Helmut Prinzler, Werner Sudendorf (Hrsg.), Nicolai, Berlin, 98 DM