Guinea schlittert in den Krieg

Krisenherd Westafrika: Nach Spannungen mit Liberia werden in Guinea Rebellen aktiv, geführt von einem Ex-General mit Verbindungen nach Guinea-Bissau

BERLIN taz ■ Die Spirale der Gewalt, die ein Land nach dem anderen in Westafrika destabilisiert und bereits Liberia und Sierra Leone verwüstete, hat jetzt auch Guinea erreicht. Seit am 1. September eine bewaffnete Gruppe den kleinen Ort Massadou nahe der Grenze zu Liberia überfiel und 45 bis 80 Menschen tötete, herrscht Bürgerkriegsstimmung. Die Regierung blies Anfang September zum Kampf gegen „ausländische Aggressoren“, bildete Volksmilizen und ließ Flüchtlinge aus Sierra Leone und Liberia jagen und misshandeln.

Vor zehn Tagen bekannte sich dann eine bisher unbekannte „Vereinigung Demokratischer Kräfte in Guinea“ zu einem Angriff auf die Stadt Macenta, ebenfalls nahe der Grenze zu Liberia, bei dem neben 35 Zivilisten auch ein Mitarbeiter des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR getötet wurde. Damit wurde allgemein klar, dass es in Guinea eine bewaffnete Rebellion gibt, die sich den Sturz von Präsident Lansana Conté zum Ziel gesetzt hat.

Guineas Regierung macht Liberia, Burkina Faso, Libyen und Sierra Leones Rebellenbewegung RUF (Revolutionäre Vereinigte Front) für die jüngsten Kämpfe verantwortlich. Abwegig ist das nicht: Guinea schickte 1990 bis 1996 sowohl Truppen nach Liberia gegen den damaligen Rebellenchef Charles Taylor, der heute das Land regiert, wie auch danach nach Sierra Leone zum Kampf gegen die RUF, die von Taylor unterstützt wird. 330.000 Flüchtlinge aus Sierra Leone und 125.000 aus Liberia leben in Guinea und bilden in einigen entlegenen Regionen sogar die Bevölkerungsmehrheit – fruchtbarer Boden für Destabilisierungsversuche. Burkina Faso und Libyen gelten als die wichtigsten afrikanischen Verbündeten der RUF und der Regierung Liberias. Aus Guinea heraus operieren seit August liberianische Rebellen, die sich im Norden Liberias mit Taylors Armee Gefechte liefern. Die Kämpfe in Guinea wären nach dieser Lesart ein simpler Racheakt der liberianischen Seite.

So ließ sich leicht von offizieller guineischer Seite eine Verschwörungstheorie basteln, die Guinea als Opfer finsterer Mächte darstellt. Sie ist diesmal glaubwürdiger als beim Prozess gegen den populären Oppositionsführer Alpha Condé, der aufgrund unbewiesener Vorwürfe der Vorbereitung eines bewaffneten Umsturzes in Zusammenarbeit mit Liberia und der RUF Anfang September zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Seit den ersten Kämpfen auf Guineas Staatsgebiet haben sich im ganzen Land „Verteidigungskomitees“ gebildet, die der guineischen Armee die Ankunft Fremder melden sollen. Ein „Kollektiv gegen Aggression und für Frieden in Guinea“ hat in der Hauptstadt Conakry über 20.000 Jugendliche rekrutiert, die sich an Übergriffen gegen sierraleonische und liberianische Flüchtlinge beteiligt haben. In einer offiziell als „Zählung“ gekennzeichneten Aktion verhafteten diese Gruppen Anfang September kurzzeitig etwa 5.000 Flüchtlinge. Liberia und Sierra Leone sind nun dabei, die Repatriierung ihrer Bürger aus Guinea zu organisieren.

Doch hat die neue Instabilität in Guinea auch eine innenpolitische Komponente. Unabhängig voneinander berichten verschiedene Quellen, die neue Rebellenbewegung werde von Gbagbo Zoumanigui geführt, einem früheren guineischen General und Mitanführer eines gescheiterten Putschversuches gegen Conté 1996. Zoumanigui floh nach diesem Putschversuch, bei dem Guineas Präsidentenpalast in Flammen aufging, in den nördlichen Nachbarstaat Guinea-Bissau und soll auch Zeit in Libyen verbracht haben. Er stammt aus der Grenzregion zu Liberia.

Da die Militärs von Guinea-Bissau und Guinea beide auf eine „antiimperialistische“ Tradition zurückblicken – beide Länder waren früher „sozialistische“ Militärdiktaturen –, dürfte Zoumanigui in Guinea-Bissau gute Beziehungen zur dortigen Armee unterhalten haben. Die putschte 1998 unter ihrem Chef Ansumane Mané und regierte ihr Land trotz einer Militärintervention Senegals und Guineas bis zu Neuwahlen in diesem Jahr. Mané ist noch heute der „starke Mann“ Guinea-Bissaus und ließ sich in den letzten Monaten von Libyen und China ohne ersichtlichen Grund beträchtlich aufrüsten. Die jetzt in Guinea auftretenden Rebellen sind nach Berichten aus den Kampfgebieten auffallend gut ausgerüstet.

Bisher beschränken sich Guineas Rebellen auf punktuelle Überfälle auf Grenzorte in den Bergwäldern des Südens, mit denen sie Regierungssoldaten in verlustreiche Kämpfe verwickeln. Doch birgt diese Situation Eskalationspotenzial. Zehntausende Menschen sind aus dem Grenzgebiet geflohen. Anfang dieser Woche beschuldigte Liberias Regierung Guinea, Orte im Norden Liberias bombardiert zu haben, und sprach von einer „Provokation, die auf einen richtigen Krieg hinausläuft“. Dann kündigte sie eine „massive Offensive“ im Grenzgebiet an.

DOMINIC JOHNSON