K.O. erste Reihe

■ Flamingo Massacres und earwear postpunken im Molotow

Espressiva sei dank: Da gibt es endlich wieder einmal gute aggressive und, ähem, „handgemachte“ Musik zum Tanzen. Denn dieser Tage spielen im Molotow die Flamingo Massacres aus Nürnberg und die Berliner earwear, die sich um die Ex-18th Dye Bassistin Heike und zwei Cuban Rebel Girls-Mitglieder gruppieren.

Apropos Bass. Diese schönste aller Gitarren gibt es bei den Flamingo Massacres gleich zwei Mal, und auch ein ordentlich bretterndes Schlagzeug ist dabei, wie es sich halt so gehört im Punk und Hardcore, wo sich die Flamingos zuhause fühlen. Und, ach ja, die Flamingo Massacres sind übrigens Frauen. Das hat ihnen viel positive Aufmerksamkeit, aber auch Steinzeit-Kritiken beschert. Da war sich etwa eine Nürnberger Zeitung nicht zu schade, die Band im Jahre 1998, also wohlgemerkt einige Zeit nach der sogenannten Riot Grrl-Bewegung, mit den folgenden Worten zu beschreiben: „konservative Rockmusiker mag der Gedanke an eine Rockband, die sowohl auf Gitarre als auch auf Männer verzichten kann, schockieren“.

Ja, wo leben wir denn, mag man sich da vielmehr fragen. Tja. In Zeiten, in denen endlich ausgestorben geglaubte Gitarrensoli wie z.B. von Todesgniedler Carlos Santana wieder in (wenn auch höchstens nur Mainstream-) Mode kommen (wobei Herr Santana ja gern erzählt, er könne Frauen mit seinem Spiel erregen; die möchte ich aber erstmal sehen). Wir leben in Zeiten, wo auf Konzerten sogenannter „Frauenbands“ (very unsexy Wort, Marke lila Latzhose) in den ersten Reihen jene zwei Meter grossen, kurz- oder langhaarigen, lederbejackten Typen stehen, die der Frau, na, wohin wohl, schauen – und nebenbei checken, ob sie denn auch tatsächlich Gitarre spielen kann. Und wir leben in Zeiten, wo eine musikalisch völlig zu recht gehypte amerikanische Emo-Core Formation wie At The Drive-in sich beim Konzert in der Fabrik als menschlich arm entpuppt, weil sie dem Publikum das Tanzen verbietet, da ja auch „Ladies“ im Raum seien. Frauen tanzen also nicht, oder wie? Frauen also immer noch wie Affen im Zoo?

Um dagegen anzugehen, und um außerdem eine Menge Spaß zu haben, bilden Frauen Netzwerke. Leider sind solche Unternehmungen von Streitereien geprägt und nicht zuletzt finanziell gesehen nicht sonderlich erfolgreich.Immer wieder mal gibt es aber Hoffnungsschimmer am Horizont, die arschtretend zeigen, dass das „Do it yourself“-Prinzip auch funktionieren kann, wie beispielsweise bei Berlins Peaches, die im Oktober auf Tour kommen und die Welt gefälligst im Sturm eroben wird.

Ach ja, Wut beiseite: earwear, so heißt es, frönen dem Postpunk, was so unähnlich dem Treiben der Flamingo Massacres dann nicht sein dürfte: Die Nürnbergerinnen machen, es klang eingangs bereits an, ganz fabelhafte Musik, schnell, hart, laut, mit zweistimmigem Gesang, der an die frühen Sleater-Kinney gemahnt, und catchy Bass-Melodien, die in den besten Momenten an die ganz Großen wie Gang of Four oder Minutemen erinnern.

Frauen, erscheint zahlreich, verteilt Kinnhaken in den ersten Reihen und tanzt in den Morgen.

Barbara Schulz

Freitag, 21 Uhr, Molotow