Einfach weiter gegangen

■ Free Jazz-Legende Alan Silva spielte früher schon so gut Bass, dass er ihn heutzutage gar nicht mehr braucht

Man kann die Musikgeschichte der letzten Jahrzehnte als die Geschichte der Emanzipation des Basses schreiben. Ein dominanter Bass ist heute das Markenzeichen (fast) jeder guten Techno- und Hip-Hop-Produktion, Funk und Dub sind ohnehin Bass-Musiken per se.

Auch im Jazz dient der Bass nicht mehr als Timekeeper und bloße harmonische Grundierung. Die Aufbruchszeit des Free Jazz vor 35, 40 Jahren zerstörte die althergebrachten Definitionen von dem, was bis dato Melodie oder Rhythmus genannt wurde. Seitdem schenken uns Bassisten wie Charlie Haden, William Parker oder Peter Kowald ihren fetten, dichten Sound, der majestätisch durch die Kollektivimprovisationen mäandert. Aber was sie alle mit der Tradition verbindet: Sie sind Bassisten, egal, wie offensiv sie ihre ursprünglich defensive Rolle vertreten.

Genau das ist der Punkt, den Alan Silva hinter sich ließ: Wie die oben genannten Musiker zählt Silva zu den Free Jazz-Pionieren, wahrscheinlich ist er sogar einer der allerersten Stunde. Bereits in den frühen 60er Jahren spielte der damals in New York lebende Bassist in einer Gruppe namens Free Form Improvisation Ensemble, vermutlich die erste Gruppe, die wirklich konsequent frei spielte, radikaler als die damalige Musik Ornette Colemans oder Cecil Taylors – und die wurden ja schon als unhörbar verhöhnt. Als der freie Jazz 1964/65 für einen glorreichen Moment zu dem heißen Ding in New Yorks Hipsterquartieren avancierte, war Silva ganz vorne dabei. Er spielte mit Cecil Taylor und Albert Ayler, war der einzige Weiße, der jemals im Sun Ra Arkestra mitspielen durfte. Der besseren Arbeitsbedingungen wegen zog Silva Ende der 60er Jahre nach Paris, wo er gut 20 Jahre blieb und auch dort mit Gott und der Welt auftrat.

So weit, so Free-Jazz-typisch. Bloß: der 1939 auf den Bermudas geborene Alan Silva ist eigentlich gar kein Bassist. Er studierte Mathematik und Komposition. Erst mit 23 Jahren fing er an, den Kontrabass zu bedienen. Vier Jahre später schon sprach man ihm ein beinahe unheimliches Radarbewusstsein zu, denn er war immer schon dort, wo die Mitmusiker hinwollten, verfügte über eine traumwandlerische Klangsensibilität und Dynamik. Aber aus seiner Sicht war es unbefriedigend, auf die Rolle des (wie radikal auch immer auftretenden) Bassisten reduziert zu werden. In Paris begann er verstärkt zu komponieren, rief eine Schule ins Leben und schloss den Bass weg.

Seit etwa zehn Jahren entlockt der mittlerweile nach Düren (!) übergesiedelte Silva einem strenggenommen verbotenen Casio-Keyboard bizarre Klänge – nur noch ganz selten packt er den ganz großen Koffer aus. Das wäre pure Selbst-Demontage, wäre er nicht in erster Linie ein so erfahrener, mit wirklich allen Wassern gewaschener Improvisator. Mag das Ding auch noch so ächzen, seinen Fähigkeiten blitzschnell auf die anderen zu reagieren und dabei in sich schlüssige Improvisationsgerüste zu entwerfen, tut das keinen Abbruch. Anders gesagt: Eben weil das Keyboard so antiquiert klingt, treten Silvas eigentliche Qualitäten um so stärker hervor. Damit beherzigt er den einstigen Free Jazz-Konsens: weiter machen, weiter gehen, der eigenen Wirklichkeit standhalten. Auch wenn dabei das auf der Strecke bleiben sollte, was man mal am besten konnte.

Felix Klopotek

Sonnabend, 20 Uhr, Weltmusik Institut (Gaußstr. 124), mit Hinnerk K. Börnsen (Schlagzeug) u. Wolfram Simon (div. Instr.),