Das Haus und das Fegefeuer

Individualität hat dagegen keine Chance: Der in Düsseldorf lebende Maler Dirk Skreber interessiert sich für Katastrophen und ihre „aufregende Form von Energie“. Außerdem schreibt er sehr gerne, weil es für ihn „Denken mit sehr wenig Aufwand“ ist

von MAGDALENA KRÖNER

In diesen Tagen malt Dirk Skreber ein Bild, das er schon einmal gemalt hat: zwei Loks, die auf einer fast perfekt rechtwinkligen Kreuzung aufeinander zurasen oder vielleicht auch nur stillzustehen scheinen. Man weiß nicht, was passiert, und ob es gut geht. Man weiß nur, dass dieses Bild bereits irgendwo in einer Sammlung hängt. „Ich wollte es nochmal wiederhaben, also male ich es mir“, erklärt der 1961 in Lübeck geborene Wahl-Düsseldorfer Skreber. So wie diese Loks hat sich der bei Alfonso Hüppi ausgebildete Maler in den letzten Jahren eine Menge an Fußballplätzen, Wohnhäusern, Industrieanlagen, Silos und immer wieder Loks angeschafft.

Menschen sind in den Bildern nicht zu sehen. Liegt es daran, dass atomarer Fallout, Hurrikane und Fluten ihre unangenehmsten Eigenschaften gezeigt haben und einfach keiner mehr übrig ist? Die Katastrophe, die sich just zuvor ereignet hat oder im nächsten Moment ereignen wird, ist in Skrebers Bildern stets präsent. „Ich verbinde mit ‚Katastrophe‘ eine aufregende Form von Energie. Sowohl Naturkatastrophen als auch technische Unglücksfälle strahlen eine Kraft aus, die jede persönliche Entscheidungsfreiheit aufhebt. Ich denke an ein Paar, das im Auto sitzt, in düsterer Stimmung, und sich streitet. Dann fegt ein Sturm über sie hinweg, und alle Probleme werden erst mal unwichtig“, erzählt Skreber.

Während die Katastrophe sich in den Bildern von Häusern mit schwarz gähnenden Fenstern in trostloser Landschaft als hinterhältiges Gemütlichkeitsvakuum darstellt, setzt sie sich an anderer Stelle mit nüchterner Präzision ins Bild – als Überschwemmung, als Verwüstung.

Die Darstellung verrät eine akribische Genauigkeit, was Skreber innerhalb der vier für den „Preis der Nationalgalerie“ nominierten Künstlern und Künstlerinnen den Platz des „Realisten“ belegen lässt. Als erledigte sich diese Einschätzung vor den gerne viele Quadratmeter großen Ölgemälden nicht von selbst, hat er sich entschieden, neben der Bahnszene und dem Bild eines Hauses auch ein braunes, abstraktes Bild in Berlin zu zeigen.

Doch ist das Abstrakte all jenen ultra-sichtbaren, gerne fahl beleuchteten Weltbildern in jedem Moment zu Eigen. Die Figürlichkeit, die die sorgsam herausgearbeiteten Details versprechen, wird bei längerer Betrachtung nicht eingelöst. Mehr noch – nach einer Weile stechen die Farbschlieren ins Auge, die unkontrolliert einbrechenden Spritzer und Kleckse, die den Bildträger wieder als solchen in Erinnerung rufen und das Wirkliche als Illusion entlarven.

Skreber hält den Gehalt dessen offen, was von anderen ins Bild hineingelesen wird – und sein Alter ego Charles Kabold amüsiert sich im Nachhinein gern über angebotene Deutungen. Wenn dieser Kabold nicht gerade die Frage des richtigen und bei den Zwiegesprächen mit dem Maler immer gern getrunkenen Whiskeys mit Skreber diskutiert, macht er sich über Äußerungen der Kritikerseite her – en détail und mit viel Sprachwitz. Das Schreiben solcher Texte stellt für Skreber eine alternative Vergnügung dar: „Anders als die Malerei, die ohne die oft anstrengende und langwierige Technik des Farbe-auf-die-Leinwand-Bringens nicht möglich wäre, ist Schreiben Denken mit sehr wenig Aufwand.“

Doch auch eine Neigung zum Basteln hat Skreber bei der Vorbereitung für die Präsentation im Hamburger Bahnhof entdeckt: um seine Bilder im weiten Hallenraum angemessen zu präsentieren, hat er einen Entwurf entwickelt, bei dem drei miteinander verbundene Einzelräume in die Halle eingebaut werden.

Das Modell dafür hat er selbst angefertigt; andere, die sich auf der Grenze zwischen surrealem Horror und trickreicher Ausstellungsarchitektur bewegen, folgten bereits nach: „Das Schönste wäre, einen richtig schwierigen Irrgarten zu bauen, mit Fallen, Türen, die ins Nichts führen, Sackgassen ...,“ denkt Skreber laut nach, während er ein Modell erklärt. Daraus resultiert auch die Idee für eine die Malerei erweiternde Installation. Charles Kabold hat sie im Gespräch mit dem fiktiven Sammler Rainer-Werner Lucia, wahrscheinlich bei einem guten Whiskey, entwickelt. Das unfertige Haus aus einem Gemälde einmal dreidimensional nachbauen und ins Innere, sozusagen als Selbstreflexion des Hauses, wiederum ein Bild davon hängen. Nett gedacht, weil das Haus ja, wie Dirk Skreber (oder doch Charles Kabold?) erklärt, „nicht selbst in den Spiegel schauen könne“. Oder ist es nicht doch wieder ein gemeiner Trick, der die Wirklichkeit so lange wiederholt, bis sie sich selbst abhanden kommt?