Von Werwölfen und Mutantendenunzianten

Wie die X-Men-Internetseiten falsche Senatoren und echte Vizepräsidenten vermischen und ganz nebenbei für Al Gore Wahlkampf machen

Wenn man probiert, sich durch pubertäres Anhimmeln von Schauspielern jung zu halten, kann es passieren, dass man auf der Suche nach noch mehr Bildschirmhintergrundbildern von Hugh Jackman auf X-Men-MarvelComics-Seiten landet. Hugh Jackman, für alle NichtaustralierInnen, ist ein australischer Schauspieler, der auf wunderbare Weise aus einer Kreuzung von Clint Eastwood und einem Werwolf entstanden ist. Und jetzt hatte er seinen ersten großen und nicht oft genug halb nackigen Auftritt als Wolverine in der Verfilmung des X-Men-Comics. Es geht um Mutanten in dem Film und seiner Marvel-Vorlage, gute Mutanten, die gegen Böswollende kämpfen: Die Bösen, allen voran Senator Kelly (R), möchten nämlich eine Meldepflicht für alle Mutanten einführen. Um sie besser kontrollieren resp. ausrotten zu können, versteht sich. Dieser Handlungsstrang ist wichtig für den jetzt folgenden Sachverhalt.

Die X-Men-Internetseiten bieten nämlich leider keinen Hugh-Jackman-Akt. Dafür gibt es ein ganzes Mutanten-Universum, von Spielen, X-Men-Malanleitungen, ausgedachten geheimen Krankenakten der X-Men und was heutzutage noch so alles in einem anständigen Werbeklumpatsch drinsteckt. Besonders pfiffig ist allerdings die Seite mit den X-Hearings: Hier kann man das „Mutant Manifest“ lesen, unter anderem „prejudice is the child of ignorance“. Wenn man sich gerade so richtig schön durch die Fantasiewelt fantastischer Comicnerds klickt, ist man plötzlich, schwupps, auf der echten Wahlkampf-Homepage des echten Präsidentschaftskandidaten Al Gore (D) – dessen Pressenerds sich das vermutlich schlau ausgedacht haben.

Gore passt aber auch in den Mutantenkomplex wie die Faust aufs Auge. Ein Artikel auf der Gore-Lieberman-Wahlkampf-Seite beschreibt, wie Gore das Arzneimittelproblem aller Menschen, reicher und armer, lösen wird, ganz im mutantischen Gerechtigkeitssinn. Bushs Plan dagegen, das steht auch auf der Seite, würde Millionen von Menschen, Mutanten oder nicht, durchs soziale Netz plumpsen lassen. Dieses Riesenarschloch. Aber clever, die Amis. So geschickt wird man sonst höchstens vom Fernsehen instrumentalisiert.

Bei Gores Stundenplan ist allerdings ungewiss, ob er das überhaupt schon gesehen hat („Al, wir haben bei Marvel angefragt, ob wir unsere Kampagnenseite mit dem X-Men-Film verlinken dürfen.“ – „Ja ja, macht ihr nur, ihr Werbeheinis.“). Vielleicht wäre ihm nämlich aufgefallen, dass man auch beim ausgedachten Senator Kelly (R) mit einem Link auf die täuschend echte Senator-Kelly-2000-Wahlkampagnen-Seite schwuppt. Die der Al Gores formal 100-prozentig gleicht, nur natürlich durch die besonders mutantenfeindlichen Sprüche etwas aus der Reihe tanzt. Ob das nicht nach hinten losgeht? Kelly ist zwar erstens der Böse und zweitens keine wirkliche Person (im Film geht er auch noch drauf), aber wer weiß, ob die politaktivierten und -motivierten Neuwähler nicht trotzdem später nach dem Namen Kelly auf ihrer Liste suchen.

Danach wollen einem die urcleveren Amis Denunziantentum beibringen. „Mutant watch“ heißt die Senator Kelly angeschlossene Seite, und unter „Do you know a mutant?“ kann man Mutanten in der Nachbarschaft mit Namen und E-Mail-Adresse angeben. Ich habe mich sofort selbst denunziert. Und auch keine fünf Minuten später folgerichtig eine Mail von einem patriot@mutantwatch.com erhalten, mit der Nachricht, dass mein Name im Register für bekannte und vermutete Mutanten aufgenommen worden sei. Wer mich denunziert hat, stand auch drin. Senator Kelly würde ich jetzt also erst recht nicht wählen.

JENNI ZYLKA