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Bahn blind für die Kundschaft

Anders als bei ausländischen Bahnen stagniert in Deutschland die Transportleistung per Schiene. Fachleute meinen: Dem DB-Konzern mangelt es weniger an Geld als an einem Marketingkonzept. Sie setzt erfragte Kundenwünsche nicht um

von ANNETTE JENSEN

Das Ziel war ehrgeizig: Innerhalb von zehn Jahren sollte der deutsche Schienenverkehr 50 Prozent mehr Transportleistung bringen. So hatten es Verwaltungsräte von Bundesbahn und Reichsbahn Anfang der 90er-Jahre proklamiert. Als Behörde organisiert, gelang es der Bahn sogar noch, eine entsprechende Steigerungsrate beim Personenverkehr hinzubekommen.

Doch seit der Bahnreform von 1994 stagniert die Zahl der Personenkilometer im Nahbereich, und auch der Fernverkehr kann nur ein mageres Plus von 5,4 Prozent ausweisen. „Und das alles bei Investitionen von jährlich 5 Milliarden Mark“, fasst der Verkehrsberater und frühere DB-Mann Karl-Dieter Bodack die fatale Entwicklung bei einem VCD-Gespräch in Frankfurt am Main zusammen.

Anderswo verzeichnet der Schienenverkehr dagegen Zulauf: In Dänemark registrierte der internationale Eisenbahnverband 1998 eine Steigerung der Personenkilometerzahl von knapp 8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, und auch die französischen, spanischen und britischen Bahnen konnten ein deutliches Plus melden. Die Deutsche Bahn AG musste 1998 ein Minus von 2,6 Prozent vermelden.

Zwar kämpft Konzernchef Hartmut Mehdorn darum, in diesem Jahr wenigstens beim Betriebsergebnis – also vor Steuern oder besonderen Lasten – keinen Verlust mehr zu machen. Doch er weiß nach eigenen Angaben von gestern in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung noch nicht, ob das gelingt. Die Bahn soll aber trotzdem bis 2004 börsenreif sein. Dass seine Unternehmensstrategie tatsächlich zu mehr Verkehr auf der Schiene führt, bezweifelten die in Frankfurt beim VCD versammelten Verkehrsexperten. Denn sein Ziel „Börsenfähigkeit 2004“ soll erneut mit einem Konzept des „Gesundschrumpfens“ erreicht werden, bei dem nur gut ausgelasteten Schnellzüge überleben. „Die Strategen der Bahn AG gehen davon aus, dass im heutigen Taktverkehrsnetz des Fernverkehrs 28 Prozent geopfert werden“, schreibt der VCD. Über zwei Dutzend Interregio-Verbindungen sind demnach gefährdet, mehrere Linien sind bereits gestrichen worden.

Deutlich wird dadurch: Der DB fehlt der Blick auf den Markt. Marktforscher haben herausgefunden, dass für zwei Drittel der Reisenden der Preis das wichtigste Kriterium für die Wahl des Verkehrssmittels ist. Vor allem älteren Passagieren ist es zudem wichtig, möglichst wenig umsteigen zu müssen. Nur für einen relativ kleinen Teil der Fahrgäste ist dagegen eine hohe Reisegeschwindigkeit der wichtigste Faktor.

„Solche divergierenden Forderungen lassen sich nicht mit einem einzigen Angebot erfüllen“, konstatiert Professor Bodack. Ein sinnvolles Marketingkonzept müsste deshalb mehrgleisig fahren. Doch die DB macht denselben Fehler wie im Personenverkehr auch beim Gütertransport: Sie konzentriert sich ausschließlich auf Großkunden und ignoriert die kleinen und mittleren Auftraggeber.

„Das größte Problem des DB-Fernverkehrs sind nicht die Kosten, sondern die mangelnde Auslastung der Züge“, ist VCD-Bahnexpertin Petra Niß überzeugt. Britische Privatbahnen reagieren auf die gemischte Kundschaft mit extrem gestaffelten Angeboten und füllen so ihre Züge oft doppelt so gut wie die DB. In einigen Bahnen gibt es Luxuswagen für Betuchte, wo Lachsbrötchen am Platz serviert werden, während die Menschen mit schmalem Geldbeutel preiswert und wenig bequem in einem anderen Zugteil ans Ziel kommen. Ein Ticket am Freitagnachmittag ist zudem wesentlich teurer als in flauen Zeiten.

Der Hamburger Verkehrswissenschaftler Gottfried Ilgmann sieht vor allem den Mangel an Konkurrenz als Grund für die Fehlentwicklung der DB: „Da steht jetzt zwar AG drauf, ist aber weiter Behörde drin“, urteilt er. Nach zwei Jahren Regierungszeit sei inzwischen auch die rot-grüne Koalition für diesen Zustand mitschuldig. Nicht fehlende finanzielle Ausstattung sei das Hauptproblem der DB. Nur wenn das Schienennetz aus der Verantwortung der DB AG herausgelöst werde, hätten Konkurrenten eine realistische Chance.

Ilgmann hält allerdings nichts davon, dem Staat erneut die Zuständigkeit für die Infrastruktur zu übertragen. „Da fehlt dann der Marktdruck.“ Deshalb plädiert er für eine Konstruktion, bei der alle Anbieter von Fahrleistungen eine Art offenen Club bilden, der für das Netz verantwortlich ist. Zwar ist die Infrastruktur selbst damit nach wie vor ein Monopol. Doch der Zugang ist gleichberechtigt. Und Investitionen orientieren sich an den Bedürfnissen der konkurrierenden Betreibergesellschaften – und damit letztendlich der Fahrgäste. Eine solche Grundsatzentscheidung müsste die Politik treffen. Doch genau wie seine CDU-Vorgänger gucke auch Verkehrsminister Klimmt „hilflos, desorientiert oder gar nicht auf die Bahn“.

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