Im goldenen Reich der Mittel

„Olympisches Schlachtfeld“: Weil chinesische Sportler bereits 26 Goldmedaillen geholt haben, glaubt Peking sehr gute Karten zu haben bei der Vergabe der Olympischen Sommerspiele 2008

aus Peking JOHANN VOLLMER

Selbstvergessen lächelnd starrt ein Straßenfeger in den Schaukasten einer Pekinger Morgenzeitung. Mit dem Blick auf bunte Olympiaseiten, von denen goldene Medaillen und rote Fahnen glänzen, scheint die Last seiner Arbeit von ihm abzufallen. So geht es nicht nur ihm.

Ganz China ist vom Olympia-Fieber befallen. Jeden Tag feiert die Nation einen neuen Helden. Gestern waren es gleich sechs: Die Wasserspringerinnen Na Li und Xue Sang gewannen das Synchronspringen vom Turm; die Männer Ni Xiong und Xue Sang vom Dreimeterbrett, Minxia Fu allein aus drei Metern; beim Gehen kam Liping Wang nach 20 Kilometer als Siegerin ins Ziel.

Die Siegessprünge und erfolgreichen Gänge flimmern stundenlang über den Fernsehbildschirm, der derzeit in Peking in keiner Gaststätte fehlt. Die Tische mit Olympiablick sind überall belegt, und die sonst so gesprächigen Pekinger schauen gebannt auf das Programm des staatlichen Sportsenders CCTV5. Fast rund um die Uhr berichtet die Fernsehanstalt von Chinas täglichen Erfolgen aus Sydney. Sportarten ohne chinesische Beteiligung werden dabei kaum erwähnt. Alles es dreht sich um den kleinen Pingpongball, um Turner, Gewichtheber, Schützen und Badmintonspieler.

Chinas Athleten haben mit 26 Gold-, 15 Silber- und 15 Bronzemedaillen bereits jetzt alle Erwartungen übertroffen. Vor vier und acht Jahren fielen jeweils nur 16 Goldmedaillen ab. Vielleicht reicht es am Ende sogar zu Platz zwei in der Metallwertung. Heimlich schielen die Gernegroßen schon nach den übermächtigen USA, die auch dieses Mal wieder die Spiele in Sydney dominieren. Denn diese Olympischen Spiele soll nur eine Andeutung dafür sein, welches sportliche Potential in dem bevölkerungsreichsten Land der Erde steckt.

„Schaut euch diese jungen chinesischen Athleten an, wie sie ihre Gegner auf dem olympischen Schlachtfeld angreifen“, titelt die Pekinger Zeitung Beijing Qingnianbao. Nicht wie früher für den Sozialismus verbuchen die Pekinger die Olympiaerfolge, sondern einfach fürs Land. Die staatlichen Medien liefern eine gehörige Portion Nationalismus mit. Genau wie im Westen werden die Sieger zu werbeträchtigen Popidolen.

An der Sauberkeit der chinesischen Athleten gibt es diesmal weniger Zweifel als zuvor, nachdem die Chinesen selbst 27 ihrer Sportler vor den Olympischen Spielen zurückgezogen hatten. „Wegen höherer Blutwerte, nicht wegen Dopings“, sagt Wu Mutian, Direktor des staatlichen Doping-Testzentrums. Doch das glaubte so recht niemand. Vielmehr wollte die staatliche Sportverwaltung jeglichen Dopingverdacht vermeiden, da man im nächsten Jahr auf die Gnade der IOC-Mitglieder hofft. Sie sollen Olympia 2008 nach Peking holen. IOC-Chef Juan Antonio Samaranch zeigte sich bereits über die chinesischen Maßnahmen erfreut: „Dies ist eine gute Nachricht, weil es beweist, daß das Anti-Doping-System funktioniert.“

Gegen vier Städte muss sich Peking bei der Entscheidung im nächsten Jahr durchsetzen. Paris, Toronto, Istanbul und Osaka hoffen ihrerseits auf die Austragung. Doch Peking scheint sich der Sache sicher zu sein, nachdem es 1993 nur knapp mit zwei fehlenden Stimmen Sydney unterlag. Damals stand die Olympia-Abstimmung noch unter dem Schatten des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens und westlicher Boykottmaßnahmen.

Und anders als 1993 steht diesmal auch die Bevölkerung hinter der Bewerbung. 94,6 Prozent der Pekinger sind nach einer Umfrage für die Spiele im Land. Davon erwarten sie sich dringend benötigte Verbesserungen der Infrastruktur.

Der vierte Autobahnring um Peking, der endlich das immer größere Verkehrsaufkommen entlasten wird, ist schon fast fertig gestellt. Überdies müssten baufällige Wohnblocks saniert werden. Am wichtigsten aber ist vielen der Umweltschutz. „Schon wenn der Himmel über Peking wieder zu sehen wäre, hätte sich der Aufwand gelohnt“, sagt der Lehrer Xie Feitong. Nur an windigen Tagen schimmert Blau durch den dicken Smog, der das ganze Jahr zäh in der Stadt hängt. Schuld daran ist die veraltete Schwerindustrie im Industriegürtel der Metropole. Nun aber soll Olympia die gigantischen Stahlwerke aus der Stadt verbannen.

Die beste Werbung pro Penking findet indessen schon heute statt: „Es ist an der Zeit, dass China die Spiele bekommt“, meint der ehemalige australische Premier Bob Hawke und lobt den „gewaltigen Auftritt“ chinesischer Sportler in Sydney. Vor deren Gewalt müssen sich allerdings männliche Athleten kaum fürchten: Über zwei Drittel der chinesischen Sportler in Sydney sind Frauen.