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Fair Trade goes World Trade

Besser spät als nie: Der faire Handel befreit sich aus der alternativen Kuschelecke und politisiert die Gutmenschen. Auch eine kürzlich im Auftrag von Misereor publizierte Studie würdigt die Erfolge fairen Handelns, fordert aber gleichzeitig Reformen des Fair Trade

von MAIKE RADEMAKER

Der faire Mensch ist ein guter Mensch. Dank seines Engagements kann der etwas andere Mann heute den Eheantrag mit fair gehandelten Diamanten vortragen, wird die Salatsoße in fairem Stahlblech angerührt, trägt frau den fairen Schmuck während einer Reise auf eine – na? – faire Kaffeeplantage. In siebzigtausend europäischen Verkaufsstellen bieten in ihrer Freizeit tausende von Menschen ehrenamtlich Kaffee, Tee, Schokolade und eben jetzt auch Stahlblechschüsseln an. Unermüdlich verbreiten die Organisationen die Botschaft: Wären alle wie wir, die Welt wäre besser, schöner, gerechter.

Die Welt ist aber nicht so. Und der faire Mensch auch nicht: nicht so gut, so perfekt, so anders, so zukunftsweisend. Der Erfolg der weltumspannenden Solidarität ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sowohl hierzulande als auch bei den Produzenten kaum sichtbar. Gemessen an den Umsätzen des Lebensmitteleinzelhandels hat der faire Handel einen Anteil von weniger als einem Prozent – damit „verbietet sich jede Hoffnung, dass allein der (Ver-) Kauf fair gehandelter Waren unmittelbar ein politisches Veränderungspotenzial birgt“, so einer der Autoren der Studie „Entwicklungspolitische Wirkungen des Fairen Handels“, die die Hilfsorganisation Misereor in Auftrag gegeben hat.

Zwar erkennen die Autoren klare Erfolge des fairen Handels an, gehen aber gleichzeitig scharf mit ihm ins Gericht. Der Handel habe „teilweise den Anschluss an aktuelle Debatten verloren“. Mehreinkommen bei den Produzenten allein bewirke nicht notwendig Entwicklung. Frauen würden zu wenig berücksichtigt, in Leitungsgremien der Produzenten seien sie kaum vertreten – obwohl Frauen und nicht Männer in vielen Ländern die Landarbeit verrichten. Hier hat der faire Handel nicht nur in den armen Länder ein Problem: Obwohl sich zu achtzig Prozent Frauen und nicht Männer die Füße in den Läden platt stehen, sind die Spitzenpositionen deutscher fairer Handelsorganisationen überwiegend mit Männern besetzt.

Die Autoren bemängeln aber nicht nur fehlende politische Debatten und die Machokultur. Auch wirtschaftlich haben sie etwas auszusetzen: Fairer Handel schaffe danach neue Abhängigkeiten, verhindere, dass Bauern Produkte anbauen, mit denen sie sich preislich auch ohne die altruistischen Helfer aus der Armut lösen können. Bis heute habe der faire Handel die „ökonomisch ungleich bedeutsamere industrielle Produktion außer Acht gelassen“. Kurz: Die Idee ist gut, aber es muss weiter gehen; der faire Handel muss reformiert werden.

Die meisten Kritikpunkte der Studie sind nicht neu. „Das Kernproblem ist das Idealbild, das der faire Handel in seiner Ursprungsphase entworfen hat“, sagt Tobias Reichert, unabhängiger Berater und Experte für fairen Handel. Der ideale Kunde war demnach einer, der aus ideellen Gründen bereit war, Produkte zu höheren Preisen zu kaufen, die weder besser noch schöner, noch gesünder sind. Und zwar täglich und nicht vom Weihnachtsbasar. Tatsächlich ist der faire Kunde nicht nur ein schwindelnder, sondern auch ein wackliger Kandidat: Als im Mai 2000 das Fernsehmagazin „Frontal“ kritisch und teilweise falsch über eine Kakaokooperative des fairen Handels in Ghana berichtete, erhielt die Siegelorganisation TransFair innerhalb kürzester Zeit hunderte von fragenden Briefen – darunter Auftragskündigungen von Großkunden, die endlich eine Entschuldigung gefunden hatten, um auszusteigen und zum billigen Produkt zurückzukehren.

Der ideale Produzent schlägt über die Mehreinnahmen den Weg in die Selbstbestimmung ein, entspricht dem Idealbild der unterschiedlichen Organisationen, liefert pünktlich, ausreichend und in steigender Qualität. – Vom Bild des selbstlosen Gutmenschen, von der Vorstellung, mit muffeligen Läden in Seitenstraßen die Welt verbessern zu wollen, haben sich die fairen Händler verabschiedet. Der faire Handel will sich zwar nicht aus der ökonomischen Nische begeben, aber zumindest dem Nischenimage ein Ende setzen.

„Das niedliche Prozent, das heute am internationalen Handel fair ist, bedeutet ja nicht, dass wir uns nicht fragen, was mit den anderen 99 Prozent gemacht wird“, sagt der Geschäftsführer der Siegelorganisation TransFair aus Köln, Dieter Overath. „Uns ist seit langem klar, dass sich durch den Handel allein nichts ändert“, bestätigt Barbara Asbrand vom Weltladendachverband in Mainz. Man will in der politischen Diskussion mitmischen und sich nach der Problematik der Zwischenhändler nun den Rahmenbedingungen widmen. Das Vorhaben ist so ehrgeizig wie die vorherige Idee. Wer fair kauft, kauft nun internationales politische Engagement mit.

Schon vor einem Jahr hat der Weltladendachverband die bundesweite Kampagne „Land Macht Satt“ gestartet. Durch den Verkauf von „Food-Boxen“ mit Proben fairer Produkte soll Käufern eine politische Botschaft zur Welthandelsorganisation verdeutlicht und gleichzeitig „Politik mit dem Einkaufskorb“ gemacht werden.

Der Verband fordert gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Handel des Forums Umwelt und Entwicklung von der Welthandelsorganisation WTO, den Entwicklungsländern das Recht auf Ernährungssouveränität einzuräumen. Was das heißt, müssen die Politiker der Organisation aber erst einmal der engagierten Hausfrau beibringen, die im Laden steht: Mit finanzieller Unterstützung der EU und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat Asbrand seit April 2000 allein dreißig Fortbildungsseminare für Weltlädenmitarbeiter durchgeführt. Die selbst für hauptamtlich engagierte Mitarbeiter komplizierten Zusammenhänge zwischen Agrarsubventionen, Zollsenkungen, Sonderregelungen und Verhandlungen schrecken die freiwilligen Helfer kaum: „Die Seminare kommen gut an“, sagt Asbrand.

Auch TransFair hat den politischen Schnupperkurs eingeschlagen: Geplant ist zurzeit ein „Runder Tisch“ zu Sozialstandards im Handel. „Der faire Handel bietet nicht die Lösung für Welthandelsfragen, aber wir haben Erfahrungen, die wir weitergeben können“, meint Overath. Befürchtungen, dass Firmen das traute Beisammensein an Runden Tischen dazu missbrauchen könnten, sich politisch korrekt zu profilieren, aber hintenherum weiter Produzenten ausbeuten, sieht er nicht bestätigt. Im Gegenteil – wenn eine Firma sich mit einem ökosozialen Aushängeschild – ob echt oder nicht – schmücken wolle, müsse sie sich Kontrollen gefallen lassen.

Außerdem hat der Zusammenschluss zum Netzwerk europäischer Weltläden (NEWS!) 1994 den Blick für Realitäten geschärft. In Österreich und den Niederlanden erreichen Weltläden den doppelten Pro-Kopf-Umsatz bei fairen Produkten wie die Deutschen. „Dort sind die Läden einheitlich gestaltet und damit wiedererkennbar“, erklärt Asbrand den Erfolg. „Solche Umsatzzahlen sind unser Ziel, und sie sind machbar.“ Dafür will der Verband aus der „Spendermentalität“, dass ein Kunde praktisch nur aus Mitleid kauft, heraus. Überschüsse sollen in den fairen Handel investiert werden. „Unsere Verkaufsarbeit muss professionalisiert werden.“

Der zunächst umstrittene Einsatz von TransFair hat die Läden dabei unter Konkurrenzdruck gesetzt. Als Kaffee und Tee auch in Supermärkten verkauft wurden und Stammkunden der kurze Weg erleichtert wurde, modelten Läden um, modernisierten und schafften den „gemütlichen Teetisch ab“, an denen sich die Mitarbeiterinnen zum Klönen zusammensetzten. „Die KundInnen hatten nämlich früher Hemmungen, die Weltladenmitarbeiterinnen beim Tee zu stören“, schreibt Gabriele Cleevens vom Weltladen Ulm in einem Bericht. Der Umbau sei „eine echte Prüfung“ gewesen, aber der Umsatz bestätige, dass die Entscheidung richtig war.

MAIKE RADEMAKER, 36, kauft meistens fairen Kaffee im Supermarkt und bevorzugt Äpfel und Himbeeren statt BananenLITERATUR: „Die Welthandelsdebatte. Eine Herausforderung für den fairen Handel“. Hrsg: TransFair; „Entwicklungspolitische Wirkungen des Fairen Handels“. Hrsg: Misereor, Brot für die Welt, Friedrich Ebert Stiftung. Erschienen Mitte 2000, zu beziehen über Misereor-Medienproduktion, Postfach 1450, 52015 Aachen, Fon: 01 80-5 20 02 10.www.misereor.de; www.transfair org; www.weltlaeden.de

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