Schlagabtausch über die Einheit

Debatte zur deutschen Einheit im Bundestag. Kohl applaudiert der letzten Rede des PDS-Fraktionschefs Gysi. Schröder: „Die Mauer ist auf der Straße eingedrückt worden.“ Angela Merkel: „Ich bin froh, dass ich nicht die Schnauze gehalten habe.“

aus Berlin SEVERIN WEILAND

Vielleicht war es der augenfälligste Beweis, dass sich nach zehn Jahren Einheit die alten Gegnerschaften ein wenig abgeschliffen haben. Als Gregor Gysi seine letzte Rede als PDS-Fraktionschef im Bundestag mit sehr persönlichen Worten beendet hatte, war Altkanzler Helmut Kohl einer der wenigen unter seinen Unionskollegen, der lange und anhaltend applaudierte. Gysi hatte Exkanzler Kohl als jenen Mann gelobt, der die deutsche und die europäische Frage stets zusammengedacht habe.

Gerhard Schröder verließ die Regierungbank, schritt gemessenen Schrittes zu Gysis Sitz und gab ihm kurz die Hand. Diese versöhnlichen Gesten blieben die einzigen in der Debatte zur zehnjährigen deutschen Einheit. Der Streit darüber, wer welchen Einfluss beim Gelingen der Einheit 1989/90 hatte, ging auch gestern wieder weiter. Den Anfang machte Kanzler Schröder, der mit keinem Wort seinen Vorgänger erwähnte. Zwar lobte er die Verdienste der damals politisch Verantwortlichen im In- und Ausland. Doch die Mauer sei „nicht in Bonn, Washington oder Moskau“ gefallen: „Sie ist auf der Straße eingedrückt worden – und zwar von Ost nach West.“ Dies sei der der „Faktor“, an den man sich erinnern werde, wenn es „um die geschichtliche Einordnung der Einheit geht“.

Wie würde Angela Merkel, die CDU-Parteivorsitzende, Helmut Kohl würdigen, war danach die spannende Frage. Sie tat es mit einer rhetorischen Verbeugung vor den Menschen in Ost und West, denen die Einheit gehöre, um dann die Brücke zu schlagen: „Die Menschen haben die Mauer zum Einsturz gebracht. Helmut Kohl und die von ihm geführte Bundesregierung haben die Weichen gestellt – 1989 und danach.“ Das war das Stichwort, auf das die Abgeordneten der Union gewartet hatten. Sie applaudierten heftig und lange, während Kohl, die Hände über den Bauch gefaltet, sichtlich zufrieden in sich hineinlächelte.

Merkel war es, die an diesem Tag alle anderen Redner in den Hintergrund drängte. Selbstbewusst reizte sie die SPD und die Grünen und zitierte Äußerungen damaliger Spitzenpolitiker zur Einheit. Zum Beispiel den Satz des Grünen Joschka Fischers, wonach man die Wiedervereinigung vergessen und dazu in den nächsten 20 Jahren die „Schnauze halten sollte“. Dem in Indien weilenden Außenminister warf die Ostdeutsche den Satz hinterher: „Ich bin froh, dass ich nicht die Schnauze gehalten habe“. Sie erinnerte Schröder daran, dass er als damaliger niedersächsicher Ministerpräsident gegen die Wirtschafts- und Währungsunion mit der DDR gewesen sei. Auf Männer wie Willy Brandt und andere, die die Einheit immer gewollt hätten, habe die Partei nicht gehört. Als Merkel der SPD vorhielt, sie habe lange den Friedens- vor den Freiheitsbegriff gestellt, hatte sie die SPD vollends herausgefordert. Deren Fraktionschef Peter Struck reagierte mit erbosten Zwischenrufen, die Merkel zwangen, ihre Rede zu unterbrechen. Schröder hingegen nahm die Attacken mit Kopfschütteln und Lachen hin.

Der ehemalige Außenminister Klaus Kinkel, FDP, knüpfte an Merkels Rede an. Zur Einheit habe vor allem der „unbedingte Willen zur Einheit“ gehört. „Und das hat bei Ihnen gefehlt“, wandte sich der FDP-Politiker an Schröder. Noch ausführlicher widmete sich Kinkel seinem Nachfolger im Auswärtigen Amt, Joschka Fischer. Dieser habe, nachdem er die Einheit zunächst abgelehnt habe, im Februar 1990 erklärt, man müsse sie nun akzeptieren. Es sei schon „erstaunlich, welche Pirouetten Joschka Fischer in der deutschen Politik drehen darf“. Das, sagte Kinkel, „würde man sich manchmal selber wünschen“.

Dem ansonsten eher als besonnen geltenden Werner Schulz fiel die Rolle zu, die Angriffe auf die Akteure der heutige rot-grünen Koalition zu parieren. „Warum halten Sie hier eigentlich die Rede von Helmut Kohl“, wandte sich der Bündnisgrüne an CDU-Chefin Merkel. Schulz war es auch, der als einziger Redner an diesem Tag an die Rolle Kohls in der Spendenaffäre erinnerte. Dessen Verhalten habe nicht zuletzt auch dem Vertrauen in die Demokratie geschadet. „Nur Sie“, rief Schulz ihm zu, „haben den Schlüssel für die Achtung und Anerkennung in der Hand, die Ihnen eigentlich gebührt.“