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Emden stößt in neue Kunst-Dimensionen vor

■ Die Sammlung der Kunsthalle Emden ist dank der großen Schenkung des Münchener Galeristen Otto van de Loo um eine Attraktion reicher. Der eigens dafür errichtete Neubau wird heute eröffnet und ist morgen für die Öffentlichkeit zugänglich

Die Kunsthalle Emden, Lebenswerk des 1996 verstorbenen Stern-Gründers Henry Nannen und seiner Frau Eske, durchbricht eine ästhetische Schallmauer. Nach der Gründung der Kunsthalle Emden 1986 kommt die heutige Eröffnung des 14 Millionen Mark teuren Anbaues durch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) einer Neugründung gleich. Immerhin verdoppelt sich damit die Ausstellungsfläche auf 1.700 Quadratmeter.

Glanz in den Neubau bringt eine Schenkung des Galeristen Otto van de Loo (76) aus München. 194 Gemälde und Grafiken moderner, zeitgenössischer Kunst bringen künstlerische Leckerbissen nach Ostfriesland. Darunter sind Arbeiten des internationalen Informel (Emil Schumacher, Antoni Tapies, Antonio Saura, K.R.H. Sonderborg und Hans Platschek), Gemälde und Grafiken der Gruppe CoBrA ( Asger Jorn, Karel Appel, Constant, Pierre Alechinsky und Carl H. Pedersen) und Stücke der wegen angeblicher Sittenwidrigkeit in Bayern verfemten Gruppe SPUR (Heimrad Prem, Helmut Sturm, HP Zimmer und Lothar Fischer). Daneben stechen Einzelserien des Über-Malers Arnulf Rainer und ein Querschnitt durch das Oeuvre von Alfred Kremer hervor. Kommentar des wissenschaftlichen Leiters der Kunsthalle, Achim Sommer: „Diese Schenkung ist für uns wie ein 6er im Lotto.“

Wie wahr, denn in der Sammlung Nannen klaffte bislang eine kunsthistorische Lücke. Die Sammlung umfasst vornehmlich Bilder aus dem deutschen Expressionismus. Der endet vor dem Zweiten Weltkrieg. Erst 1980 knüpft die Sammlung Nannen mit Exponaten jüngerer deutscher Maler (etwa Heiner Altmeppen) an die aktuelle Moderne an. Die Sammlung Otto van de Loo schließt diese Lücke ab dem Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Während die Nannens bislang eher für gegenständliche, „gängige“ Kunst mit den Ikonen Max Beckmann, Emil Nolde oder Ernst-Ludwig Kirchner bekannt waren, halten mit dem Informel abstrakte und in der Öffentlichkeit weniger bekannte Arbeiten Einzug in Ostfriesland.

Wollen das die Leute sehen? Eske Nannen, Geschäftsführerin des Museums: „Bislang haben wir durchschnittlich 300 Besucher pro Tag. Im ganzen Jahr kommen mehr Besucher als Emden Einwohner hat.“ Und Achim Sommer, wissenschaftlicher Leiter der Kunsthalle, unterstützt: „Alte Besucher binden, neue gewinnen, das ist unsere Chance.“ Ansonsten gilt das Motto von Henry Nannen aus dem Jahr 1986: „Das Projekt Kunsthalle ist wie ein Ritt über den Bodensee, aber ich bin sicher, dass wir das Ufer erreichen.“ Das hat ja schon einmal geklappt.

Die Gegensätze könnten nicht größer sein: Hier der ernste, zurückhaltende Otto van de Loo, dort das Objekt seiner Begierde, heftige, emotionale, wilde Malerei. „Meinen ersten Kontakt zu solchen Bildern bekam ich, als ich als Hitlerjunge mit dem Fahrrad von meiner Geburtsstadt Witten an der Ruhr nach München fuhr, um mir die von den Nazis organisierte Ausstellung über so genannte entartete Kunst anzusehen“, flüsterte van de Loo in den neuen Räumen der Kunsthalle. Weil die Berliner Nationalgalerie schusselig mit einer seiner Schenkungen umging, beglückte er Emden mit seinen Bildern. Henry Nannen sagte ihm 1990: „Kommen sie zu uns, wir behandeln sie besser.“

Was van de Loo außerdem gefiel, war die Selbstverpflichtung der Emder, Kunst nicht nur auszustellen, sondern sie auch zu vermitteln. Dazu gehört zum Beispiel die Emder Malschule, in der Kinder, Jungendliche und Erwachsene den Umgang mit Kunst lernen. Ein weiteres Plus war die Architektur der Kunsthalle. Besser sollte sie „Kunstraum“ heißen, denn eine Halle gibt es nicht. Größere und kleinere Innenräume, im Spiel des künstlichen und natürlichen Lichtes machen die Ausstellung zum waghalsigen, aber spektakulären Erlebnis.

Außen wirkt die Architektur konservativ, sie erinnert an einen Hafenspeicher. Landestypische Materialien und Farben verstärken diesen Eindruck. Auch wenn eine Nachbarin den Kunsthallen-PlanerInnen mit einem gerichtlich verfügten einjährigen Baustopp zu schaffen machte, das Kunstviertel direkt in der Innenstadt am Ufer eines Kanals ist eine gelungene, städtebauliche Verschmelzung von Tradition und Innovation.

Thomas Schumacher

Der offizielle Festakt mit Kanzler Schröder beginnt heute um 10 Uhr in der Emder Nordsee-Halle. Mit einem „Tag der offenen Tür“ präsentiert die Kunsthalle Emden (Hinter dem Rahmen 13) am 3. Oktober die neue Sammlung erstmals der Öffentlichkeit. Infos zur Kunsthalle erhält man unter Tel.: 04921/97 50 50 oder im Internet: www.kunsthalle-emden.de

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