dagobert duck bei olympia:
von RALF SOTSCHECK
Früher nannte man den britischen Staatsfunk BBC auch „die große alte Dame“. Heute ist sie nur noch eine alberne Gans. Daran sind die Olympischen Spiele schuld. Der Sender hat törichterweise Unsummen für die Übertragungsrechte ausgegeben, und nun muss man die Nation zu nachtschlafender Zeit an den Bildschirm locken. Um die Wahlmöglichkeiten der Zuschauer einzuschränken, wird Olympia auf beiden BBC-Sendern übertragen.
Der Engländer interessiert sich aber nur für seine Landsleute. Während in Sydney die Wettbewerbe stattfanden, diskutierte die BBC mit den britischen Hundertmeterläufern, wie die Drei die Medaillen unter sich verteilen würden. Am Ende wurde es Blech.
Besser lief es beim Rudern. Der Sender schickte seinen Starreporter Steve Ryder an den Penrith Lake, und der sorgte dafür, dass der britische Vierer ohne Steuermann Olympiasieger wurde. Kaum war das Rennen gestartet, brüllte Ryder los: „Ja, Jungs, ihr schafft es!“ Die britischen Ruderer hatten seit 1912 kein Gold mehr gewonnen, und nun kamen die Kroaten und griffen den britischen Vierer an. „Mein Gott“, schrie Ryder, „lasst sie nicht herankommen. Schaut doch nach links.“ Die Ruderer schauten nach links und übersahen fast die Australier, die rechts attackierten. Eine ehemalige Kolonie, wie entwürdigend. Ryder ignorierte sie. Hundert Meter vor dem Ziel gab es aber kein Halten mehr: „Ihr schafft es, ja, ja! Gold! Gold! Gold!“ Er klang wie der junge Dagobert Duck am Yukon. Selbst die Stimme war entenhaft. Dann versagte sie, und Ryder wurde in einer ärmellosen Jacke abtransportiert.
Der schottische Kommentator Tom Shields hat für diesen Unfug nichts übrig. „Rudern steht höchstens ein, zwei Stufen über Tontaubenschießen oder den anderen lächerlichen Sportarten, in denen die Briten hin und wieder noch Medaillen gewinnen“, schrieb er in einer schottischen Zeitung. Aber er hatte auch Verständnis für seinen Kollegen Ryder: „Wenigstens konnte Herr Ryder sein Manuskript abwandeln, das er die ganze Woche verwendet hat. Es begann immer mit den Worten, dass bedauerlicherweise kein britischer Teilnehmer im Finale vertreten sein wird.“
Einen Tag später hatte die BBC ihren Starreporter mit Aufputschtabletten wieder fit gemacht. Diesmal war der Vierer der Frauen an der Reihe, und Ryder lief zur alten Form auf. Noch nie hatten britische Ruderinnen eine Medaille gewonnen, aber Ryder wollte es richten. „Sie greifen die Deutschen an! Wir kämpfen um Gold! Jetzt um Silber! Bronze, Bronze! Oh! Oh!“ Ein brasilianischer Fußballkommentator wirkt wie ein kühler Analytiker im Vergleich zu Ryder. Die Studio-Moderatorin versicherte den Zuschauern, dass Ryder sich in einem abgedunkelten Raum bei einer Tasse englischen Tees erhole.
Was ist bloß aus der englischen Contenance geworden? Am nächsten Tag wiederholte die BBC beide Ruderrennen mit Originalton. Am übernächsten Tag auch. Dann bekamen die Rennen einen festen Sendeplatz und werden seitdem täglich um Mitternacht ausgestrahlt. Bis zu den nächsten Olympischen Spielen 2004.
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