Licht und Dunkel im Prag der 30er Jahre

■ Arbeiten mit den Elementarmitteln der Filmkunst: Tschechische Avantgarde

Ab heute begeht Hamburg eine Woche lang das zehnjährige Jubiläum seiner Städtepartnerschaft mit Prag. Die Reihe „Ahoj Prag“ präsentiert neben Musik und Literatur aus der tschechischen Hauptstadt auch einige Veranstaltungen zur dortigen Filmproduktion. Deren jüngerer Output lässt sich anhand der Filme Schwarzweiß in Farbe (1999) über die Roma-Sängerin Vera Bílá, Die Knöpfler (1998) und Die Rückkehr des Idioten, dem erfolgreichsten tschechischen Film des Jahres 1999 verfolgen; ein Schwerpunkt widmet sich der tschechischen Avantgarde der 30er Jahre.

Mit der Bezeichnung „Avantgarde“ ist allerdings von vornherein ein provozierender Titel gewählt. Der Filmemacher Alexandr Hackenschmied, der mit zwei Programmen gewürdigt wird, distanzierte sich schon 1930 vom Begriff „Avantgarde“ – verstanden als reine Filmkunst in Abgrenzung zum glatt gefilmten und weich fotografierten Kommerz – und spricht statt dessen vom „unabhängigen Film“: „Der Unabhängige Film will auf den von der Industrie verlassenen Feldern arbeiten und sie so ergänzen. Eine soziale und ideelle Reform der Filmindustrie ist das höchste Ziel der unabhängigen Filmarbeit.“ Auch Michal Bregant, der in Batalion (1927) einführen wird, favorisiert die Bezeichnung „hors-garde“ (hors = frz. außerhalb).

Zugleich war der unabhängige und experimentelle Film der Tschechoslowakei sehr wohl „Bestandteil einer globalen Vision einer neuen Gesellschaft, nicht nur ihrer kulturellen Aspekte“ (Bregant) und ist insofern wohl avantgardistisch zu nennen. Dafür spricht nicht zuletzt das Konzept der Durchdringung der Gattungen Film, Literatur und Musik, das mit vielen der Filme umgesetzt und damit ein erster Schritt vollzogen wurde in Richtung der Einlösung künstlerischer Utopien im Alltagsleben.

Bregant wird seine Thesen zum Thema auf der öffentlichen Tagung „Tschechische Avantgarde“ am 7. Oktober präsentieren. Dort werden auch weitere Vorträge, etwa zu Hackenschmieds programmatischem Film Aimless Walk (1930) oder zu Rhythmus zu hören sein, mit dem Jirí Lehovec Musik und Bild gleichberechtigt zu einem Ensemble zu montieren versuchte.

Lehovec konnte diese Arbeit übrigens gerade noch beenden, bevor die Nazis 1941 dem Unabhängigen Film in Prag ein Ende setzten. Crisis, ein Film, den Hackenschmied im amerikanischen Exil 1938 zusammen mit Herbert Kline realisierte, dokumentiert die Vorgeschichte der 1939 vollzogenen Annexion der Tschechoslowakei durch die Deutschen bis zur Errichtung des „Protektorats Böhmen und Mähren“. Und er gibt eine Ahnung davon, dass es weniger die immer wieder beschworene Eingemeindung in den künstlerischen Mainstream war, die den Avantgarden der 20er und 30er Jahre ein Ende setzte, als vielmehr die historischen Niederlagen der mit ihnen verbundenen Visionen.

Christiane Müller-Lobeck

Batalion: 6.10., 21.15; Crisis: 6.10., 21.15 Uhr; „Prag Stadtporträts“: 7.10., 17 Uhr; Von der Avantgarde zum Spielfilm“: 7.10., 19 Uhr; „Filmexperimente“: 7.10., 21.15 Uhr; „Alexander Hackenschmied 1“: 8.10., 19 Uhr; „Alexander Hackenschmied II“: 7.10., 21.15 Uhr; öffentliche Tagung „Tschechische Avantgarde“: 7.10., 10 - 16 Uhr; Schwarzweiß in Farbe: 8.10., 17 Uhr + 9.10., 19 Uhr; Die Knöpfler: 10.10., 21.15 Uhr; Die Rückkehr des Idioten: 11.10., 21.15 Uhr, alle Metropolis